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Im Zeitzeugen-Interview blickt der frühere Vereinsarzt von Hannover 96, Dr. Uto Kleinstäuber, zurück auf seinen Werdegang und seine Zeit bei den Roten. Eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit.

/ Klub
Dr. Kleinstäuber erinnert sich gerne an seine Zeit bei 96 zurück.

Herr Dr. Kleinstäuber, wann und wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

"Ich bin am 15. Juni 1935 in Chemnitz zur Welt gekommen. Während des Krieges, genauer gesagt zwischen Februar und April 1945, wurde Chemnitz schwer von den allierten Bomberverbänden angegriffen. Meine Eltern und ich verloren dadurch unser Zuhause. Nachdem wir ausgebombt waren, zogen wir zu meinen Großeltern, die in Gera lebten. Wir richteten uns ein und im Jahre 1953 legte ich meine Abiturprüfung in Gera ab. Genau eine Woche später, es war der 17. Juni 1953, kam es zum Volksaufstand in der DDR. Ich war auf der Straße und demonstrierte mit. Die Konsequenz war, dass ich von nun an als politisch unzuverlässig galt und keine Chance hatte, in der DDR zu studieren. Gemeinsam mit meinem Schulfreund ging ich im Jahre 1954 in den Westen - und zwar nach Mainz. Fast ohne jegliche Vorbereitung legte ich dort erneut eine Abiturprüfung ab, um im Westen studieren zu können. Es war zwar ein knappes Resultat, aber es hatte geklappt und ich hatte somit die Voraussetzung, um in der Bundesrepublik zu studieren. Übrigens wurde ich zudem in der Bundesrepublik als politischer Flüchtling anerkannt, was wiederum zur Folge hatte, dass ich aufgrund des Lastenausgleichsgesetzes Anspruch auf finanzielle Unterstützung hatte."

Das war wohl keine leichte Zeit für Sie. Gab es trotz dieser Unwägbarkeiten Zeit für sportliche Aktivitäten?

"Ja, die gab es. Bereits zu DDR- Zeiten spielte ich Handball bei Lok Gera. Im Sommer auf dem Großfeld, im Winter in der Halle. Im Frühjahr 1953 wurde ich mit Lok Gera DDR Handballmeister der A-Jugendlichen.  Später, als ich im Westen war und an der Uni Mainz Medizin studierte, spielte ich in der Uni-Auswahl Handball. Dort kam es eines Tages zu einem Spiel gegen eine Leipziger Mannschaft, die von meinem ehemaligen Trainer in Gera betreut wurde. So klein ist manchmal die Welt."

Sie erwähnten bereits, dass Sie ein Studium aufgenommen hatten. Konnten Sie auf finanzielle Unterstützung aus der Familie zurückgreifen oder mussten Sie richtig "ran" und selbst für Ihren Lebensunterhalt sorgen?

"Mir wurde nichts geschenkt. Ich studierte ab 1954 drei Semester in Mainz und war ein sogenannter "Werksstudent", der neben seinem Studium arbeiten musste. Nach den drei Semestern in Mainz wechselte ich an die Uni in Frankfurt, wo ich 1961 mein Examen machte. In der Frankfurter Zeit habe ich mein Geld als Taxifahrer verdient. Im Jahre 1963 war ich dann fertiger, approbierter Arzt und hatte verschiedene medizinische Bereiche durchlaufen. Es stand also die Entscheidung an, für welche Fachrichtung ich mich spezialisieren sollte. Da meine Frau Krankengymnastin war, entschied ich mich für die Orthopädie. Im Jahre 1965 kam ich gemeinsam mit meiner Frau zum Anna- Stift nach Hannover.  1968 war ich Facharzt für Orthopädie und im Jahre 1970 schied ich im Anna- Stift als Oberarzt aus, um mich am "Schwarzen Bären" in Hannover mit einer eigenen Praxis niederzulassen."

Wie und wann kamen Sie dann zu Hannover 96?

"Einen Moment, ganz so schnell ging das nicht! Erst kam der OSV! Es war im Jahr 1972, als ein Herr Wolfgang Zabel (viele Jahre Präsident und Mäzen des OSV Anm. der Red.) bei mir in der Praxis stand und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, die medizinische Betreuung der Regionalligamannschaft zu übernehmen. Ich sagte zu, da mir diese Aufgabe reizvoll erschien."

"Herr Kronsbein bat mich freundlich, aber bestimmt darum, Peter Anders eine Spritze zu geben, da er unbedingt spielen sollte."

…und Hannover 96?

"Das war im Jahre 1975. Eines Tages stand "Fiffi" Kronsbein in meiner Praxis. Im Schlepptau hatte er seinen Spieler Peter Anders, der sich eine Verletzung an der Halswirbelsäule zugezogen hatte.
Herr Kronsbein bat mich freundlich, aber bestimmt darum, Peter Anders eine Spritze zu geben, da er unbedingt spielen sollte. Nachdem ich Peter Anders untersucht hatte, kam ich Kronsbeins Bitte nach und gab Peter Anders die Spritze.
Einige Tage später bekam ich dann die offizielle Anfrage von Hannover 96, ob ich für den Verein tätig sein möchte. Ich überlegte nicht lange und entschied mich relativ rasch, fortan für Hannover 96 tätig zu sein."

Mussten Sie ab dem Moment alle Wehwehchen der Spieler behandeln?

"Nein, nein. Ich war ausschließlich für die orthopädische Abteilung zuständig, gemeinsam mit Herrn Dr. Eike van Alste, der den chirurgischen Part der Behandlungen übernahm. Für Husten, Schnupfen und andere Erkrankungen stand Dr. Kartscher in Laatzen zur Verfügung."

Wie war das an den Spieltagen? Waren Sie an den Wochenenden immer "auf Achse"?

"Dr. van Alste fuhr meist immer mit der Mannschaft zu den Auswärtsspielen, ich behandelte die Spieler bei den Heimspielen. Damals war es auch noch so, dass die Gastmannschaften selten einen Arzt mitbrachten. Stellte sich also während des Spiels eine Verletzung bei einem gegnerischen Spieler ein, dann habe ich ihn natürlich behandelt."

Hatten Sie mit Hannover 96 einen Vertrag geschlossen, der Ihnen ein monatliches Salär garantierte? 

 "Nein, das war absolut ehrenamtlich. Ich habe sogar noch Materialien wie Verbandszeug und dergleichen mitgebracht. Ich wollte kein Geld von Hannover 96, denn ich wollte mir meine Unabhängigkeit bewahren. Allein die Tatsache, dass ich die Mannschaft betreute, sprach sich natürlich sehr schnell herum - eine tolle Werbung für meine Praxis. Das war im Endeffekt mehr wert als alles Geld.Ich werde noch heute von Leuten angesprochen, wenn Sie meinen Namen hören.
Die sagen dann: "Kleinstäuber, der Name kommt mir bekannt vor. Waren Sie nicht mal Vereinsarzt bei Hannover 96?"

Wie war denn das Arbeiten mit den Trainern? Die wollten doch sicherlich, dass Sie Wunderdinge vollbringen, damit verletzte Spieler rasch wieder fit wurden?

"Die Trainer waren kein Problem. Ich habe ihnen die medizinische Diagnose zu den einzelnen Spielern mitgeteilt und größtenteils akzeptierten sie sowohl die Diagnose, als auch die damit verbundene Ausfallzeit."

Und es gab keine Reibereien?

"Nein. "Fiffi" Kronsbein und Werner Biskup waren etwas speziell, wo es bei Werner aber an seiner Erkrankung lag. Die anderen Trainer wie Gerd Bohnsack, Diethelm Ferner, Toni Burghardt oder Hannes Baldauf waren alle sehr umgänglich."

"Dieter Schatzschneider, der wollte immer spielen, egal wie verletzt er war."

…und die Spieler? Da gab es doch sicherlich auch wehleidige und übermotivierte?

"Ja, das kann man sagen. Sie werden verstehen, dass ich natürlich keine Namen nennen darf, da die ärztliche Schweigepflicht auch über den Behandlungszeitraum hinaus weiterhin gültig ist, aber einige Spieler horchten schon sehr gründlich in sich hinein und wollten dann lieber doch nicht spielen, weil sie Angst hatten sich wieder zu verletzen.Es gab aber auch die anderen Spieler. Dieter Schatzschneider, der wollte immer spielen, egal wie verletzt er war. Dann gab es mal einen Torwart, Jupp Pauly, in meinen Augen ein "Urvieh" von Spieler. Der hatte immer Probleme mit seinen Ellenbogen. Wenn Sie mich fragen, dann hatte er permanent Schmerzen, aber er war so ehrgeizig. Eigentlich hätte er operiert werden müssen. Es würde mich mal interessieren, ob er das inzwischen hat machen lassen."

Wie war das denn, wenn sich beispielsweise ein Spieler im Training verletzte, wurden Sie dann gerufen?

"In der Regel nicht. Im Stadion war ja immer ein Physiotherapeut. Ich erinnere mich an Herrn Hoppek, der sozusagen mein verlängerter Arm war. Kleinere Dinge behandelte er vor Ort. Wenn er sich nicht sicher war, rief er an oder schickte den Spieler kurzerhand zu mir in die Praxis. Zum "Schwarzen Bären" ist es ja vom Stadion aus nicht so weit."

Wann und warum stiegen Sie bei Hannover 96 aus?

"Das war zu Beginn der Saison 1987/ 88. Ehrlich gesagt, war es nicht ganz freiwillig. Ich wunderte mich schon, dass ich zu Beginn der Saison keine Zugangsberechtigung mehr zum Stadion bekam. Über Umwege erfuhr ich, dass die Vereinsführung einen Kollegen von der Medizinischen Hochschule Hannover favorisierte."

Haben Sie nach Ihrem Ausscheiden bei Hannover 96 noch Spieler bei anderen Vereinen versorgt?

"Nein, dann war Schluss. Ich hatte noch vergessen zu erwähnen, dass ich Anfang der 80er kurzzeitig auch bei Arminia Hannover ausgeholfen habe." 

Dann konnten Sie sich also wieder ganz auf Ihre Praxis konzentrieren?

"Ja, so ungefähr. Ich habe bis zum Jahre 2003 die Praxis betrieben, da ich mit 68 Jahren und der damaligen Gesetzeslage die Kassenzulassung abgeben musste. Ich durfte somit nur noch Privatpatienten behandeln, was ich bis 2010 auch tat. Meine Tochter Sabine führt heute die Praxis weiter."

Dr. Kleinstäuber bei der Behandlung von Bernd Dierßen auf dem Spielfeld.

Gab es seit dem Ende Ihrer Tätigkeit bei Hannover 96 noch Kontakte zum Verein oder zu ehemaligen Spielern?

"Neulich erhielt ich vom Verein die Einladung zum Ehemaligentreffen, über die ich mich sehr gefreut habe und der ich auch gern gefolgt bin. Zu ehemaligen Spielern habe ich keine Kontakte, allerdings habe ich neulich beim schon erwähnten Ehemaligentreffen, Peter Anders getroffen, der nach seiner Ausbildung zum Masseur und medizinische Bademeister einige Zeit bei meiner Frau in der Praxis gearbeitet hat."  

Vielen Dank für das Gespräch

Quelle: Hans-Heinrich Kellner

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