NIEMALSALLEIN

Die "rote" Krise: Trainer Dieter Hecking exklusiv in der HAZ über Fehler, Verletzungsseuche, Knüppelwerfer und eine "Stacheldraht-Mentalität" bei Hannover 96.

 

Herr Hecking, im September 2006, bei Ihrem Amtsantritt bei Hannover 96, galten Sie als der absolute Wunschtrainer der Fußballfans in der Region. Vor dem Spiel am Sonnabend gegen den Karlsruher SC gibt es Umfragen, da wünschen Sie 40 Prozent in die Wüste. Überrascht Sie die Schnelligkeit der »« Entwicklung, und wie gehen Sie damit um?

Vor 27 Monaten war die Mannschaft am Boden, und wenn jetzt die Leute sagen, dass das wieder der Fall ist, dann kann ich momentan mit 13 Punkten gar nicht viel dagegen halten. Und das, obwohl wir zwei Jahre hervorragende Arbeit geleistet haben. In Deutschland ist das halt so, dass die Trainer am ehesten und schnellsten in die Kritik geraten. Das ist in anderen Ländern anders, da sind Trainer wie heilige Kühe, bei uns ist meistens alles auf uns fokussiert. Aber damit kann ich leben: Ich stelle mich der Kritik.

Tun Ihnen die Pfiffe und „Hecking raus!“-Rufe weh?

Ich bin nicht froh über die Rufe, aber es sind nicht so viele, wie es manchmal dargestellt wird. Gegen Bochum habe ich die gar nicht gehört. Bei der derzeitigen Entwicklung ist so etwas in der Bundesliga auch normal. Was mich schon ärgert, ist, dass über manche Medien der Eindruck verbreitet wird, dass bei uns nun alles falsch läuft. Da werden viele Fans unnötig zusätzlich verunsichert.

Medien schießen keine Tore …

Natürlich, es geht auch nicht um Rechtfertigungen oder Anschuldigungen. Sachliche und fachliche Kritik ist absolut berechtigt. Es gibt aber eben auch nicht beeinflussbare Gründe, die zu unserer Situation geführt haben. Und die werden nur am Rande, gar nicht oder völlig falsch dargestellt. Wenn ich zum Beispiel lesen muss, dass wir 44 Muskelverletzungen hatten. Das ist Schwachsinn. Wir hinterfragen tagtäglich unsere Arbeit. Und ich sehe schon, dass wir Fehler machen oder gemacht haben. Das ist in jedem Beruf so. Aber wir diskutieren die nicht in der Öffentlichkeit. Ich kann in den Spiegel gucken und sagen: Wir analysieren die Aufgaben und machen dann immer das, wovon wir hundertprozentig überzeugt sind. Aber ganz klar: Wenn ich Fan wäre, hätte ich auch andere Themen.

Wie kommt die Kritik bei Ihnen an? Müssen sich Ihre Söhne in der Schule zum Beispiel ein paar Sprüche anhören?


Nein, es ist nicht so, dass den Jungs gesagt wird: „Euer Vater ist ja ein Loser.“ Das liegt auch daran, dass wir uns im Erfolg genauso normal gegeben haben wie jetzt auch. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ich bekomme viele aufmunternde Worte. Den Mut, mich persönlich unter vier Augen zu kritisieren, den haben die meisten nicht. Oder sie haben Angst, dass ihnen die Argumente fehlen. Selbst nach dem 1:1 gegen Bochum kamen mir viele Fans freundlich entgegen, hinten herum höre ich dann das eine oder andere Kritische.

Mit dieser Art kann ich nichts anfangen. Bei Herrn Kind (Klubchef; d. Red.) rufen 1000 Leute an, bei mir drei. Das ist ein bisschen die hannoversche Mentalität, die den Verein seit Jahren wie ein Stacheldraht umzingelt, das ganze Gerede, die dauernden Gerüchte … Da bietet die jetzige Situation auch eine Riesenchance.

Wie meinen Sie das?

Im Herbst, wenn die Blätter fallen, standen bei 96 in der Vergangenheit meistens die Trainer im Wind und wurden weggeblasen. Ich bin auch nicht blauäugig und weiß natürlich, was passieren kann. Wenn man ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommt, dann stolpert man doch irgendwann. Aber für die Mannschaft und für mich ist das eine Riesenherausforderung. Es ist auch eine Chance, gestärkt aus der Krise herauszukommen. Und ich sage ganz klar: Wenn die Mannschaft ihren Trainings- und Spielrhythmus findet, dann hat sie das Zeug, einen einstelligen Tabellenplatz zu belegen.

Es ist an der Zeit, dass die Mannschaft das mal beweist. Ist es naiv zu glauben, dass eine Mannschaft auch mal für ihren Trainer spielen kann?

Sie müssen gar nicht für mich spielen. Sie müssen sich selbst sagen: So geht es nicht weiter. Sie sind gefordert, sie müssen diesen Biss entwickeln und zeigen, dass sie aus der Situation herauskommen wollen. Das hat nichts mit mir oder mit Stolz oder Ehre zu tun. Sie haben eine Verantwortung für ihre eigene Leistung. Kaum einer kann zum jetzigen Zeitpunkt behaupten, dass er in dieser Saison konstant gute Leistungen gezeigt hat. Wie hat es Oliver Kahn mal gesagt: Sie müssen Eier zeigen, sie müssen sich selbst in die Pflicht und in die Verantwortung nehmen.

Viele kritisieren, dass Sie zu nett zu den Profis sind.

Ich halte nichts davon, Spieler öffentlich an den Pranger zu stellen oder öffentlich über ihre Fehler im Spiel herzuziehen. Intern erfolgt diese Kritik nach dem Spiel. Die Spieler wissen, was wir sehen wollen – und was nicht. Nur wenn einer massiv mit seinem Verhalten gegen das Team verstößt, dann kenne ich kein Pardon. Aber das war bisher nicht der Fall. Man muss dabei auch bedenken: Fußball ist öffentlich, einige warten doch nur darauf, dass ich über den Spieler XY herfalle. Dann rennen sie zu ihm und sagen: Der Hecking hat das und das über dich gesagt. Und dann haut der Spieler auch einen raus. Dann beschränkt sich die Berichterstattung auf unsere Differenzen. Das wollen wir nicht, und es hilft nicht.

Wo haben Sie Fehler gemacht?

Der erste und entscheidende Fehler war mein Versprechen vor der Fankurve, dass wir nächste Saison fünf Punkte mehr holen und international spielen. Das ist aus der allgemeinen Euphorie heraus entstanden. Das würde ich in der Form nicht mehr machen. Das ist eine Aussage, an der ich und die Mannschaft sich nun messen lassen müssen. Ich stelle mich dem, aber ich sage auch: Eigentlich ist es in solch einer Situation nach einer überaus erfolgreichen Saison keinem recht zu machen.
Hätten wir nichts gesagt, dann hätte es geheißen: Der Verein ist orientierungslos, hat keine Ziele. Wir hatten mit Mario Eggimann, Jan Schlaudraff und Mikael Forssell Spieler verpflichtet, die in der Öffentlichkeit und auch bei uns eine hohe Wertschätzung genießen. Damals war aber nicht zu erkennen, was die anderen Vereine noch investieren würden, weil wir früh mit unseren Planungen fertig waren. Vor diesem Hintergrund hätten wir unsere Aussagen vielleicht relativieren sollen.

Für die Fans ist Ihr System mit einem Stürmer schuld.

Die Diskussion ist da, und auch der stelle ich mich. Aber wir haben von 14 Heimspielen nur eines verloren, auch wenn wir nicht immer begeistert haben, das räume ich ein. Wir haben mit einem Stürmer die Bayern geschlagen und den HSV, und besonders die Bayern schlägt 96 nicht mal so einfach. Aber selbst dann heißt es: Die Bayern waren ja auch schlecht. Nach dem Sieg gegen den HSV sind die Leute glücklich nach Hause gegangen. Auch Mönchengladbach haben wir mit dem 4-2-3-1-System 5:1 geschlagen. Wir haben manchmal auch im Verlauf der Spiele das System gewechselt wie gegen Bochum, aber das wird kaum mehr wahrgenommen.
Und die Ergebnisse waren nicht so, dass man unbedingt etwas ändern muss. Gegen Frankfurt haben wir eine Halbzeit mit einem und eine Halbzeit mit zwei Stürmern gespielt, beide Halbzeiten sind 0:2 ausgegangen. Wir machen immer genau das, wovon wir überzeugt sind: Gegen Karlsruhe kann das bedeuten, dass wir mit zwei Angreifern spielen.

Ein anderer Vorwurf lautet: 96 hat keinen Führungsspieler.

Uns sind in der Saison vier Spieler im Grunde aus der Hierarchie weggebrochen, weil sie länger ausgefallen: Kapitän Robert Enke, Valérien Ismaël, Michael Tarnat, Arnold Bruggink, der im Team einen hohen Stellenwert hat, oder zuletzt Altin Lala. Man sieht an einem wie Tarnat, der jetzt wieder mit der Mannschaft trainiert: Er macht hier mal einen Spaß, staucht dort mal einen anderen zusammen. Das ist enorm wichtig. Bei uns standen plötzlich Spieler in der Pflicht, die gedacht haben, sie hätten noch Zeit. Für die wird das dann ein Lernprozess im Schnelldurchlauf. Aber auch das ist eine Chance. Grundsätzlich gilt aber ohnehin: Wir dürfen einen Spieler nicht wie eine Glucke verwöhnen, wir müssen sie auch im normalen Leben zur Selbstständigkeit erziehen.

Es wirkte zuletzt so, dass die vielen Verletzungen auch als Alibi herhalten mussten.


Wir hatten nach dem 0:4 in Leverkusen tatsächlich die Seuche, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Aber Alibi? Das kann es nicht sein. Verletzungen bedeuten ja nicht, dass die anderen Spieler automatisch keinen Erfolg haben müssen. Es kann ja auch andersherum funktionieren: Es ist für jeden Spieler die Chance, sich so aufzudrängen, dass er im Team bleibt, selbst wenn der Verletzte wieder gesund ist.

Gegen Karlsruhe am Sonnabend sind drei Punkte Pflicht.

Es ist genug diskutiert worden. Die Spieler müssen jetzt auf dem Platz das Zeichen setzen.



INTERVIEW: HEIKO REHBERG

 

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