TEXT: INA VOLKMER N ach Hause zu kom- men gehört zweifellos zu den schönsten Gefühlen der Welt. Das knackende Geräusch, wenn sich der Schlüssel im Schloss dreht, der unvergleichliche Duft, der einem gleich danach im Flur in die Nase steigt, das Lächeln eines geliebten Menschen, der auf uns wartet, und das wunder- bare Gefühl, die Haustür nach einem langen Tag einfach hinter sich zufallen lassen zu können. Unbezahlbar. Unser Zuhause ist ein Rückzugsort, ein Refugium, ein Schutzraum vor der Welt, die uns umgibt. Regen, Ge- witter, Kälte, Lärm – hier sind wir sicher. Und das nicht nur vor Unwettern und Tempera- turstürzen, sondern auch vor Menschen, die uns Schlechtes wollen. Wer die Tür hinter sich abschließen kann, braucht sich im Schlaf nicht vor Ein- brechern oder Überfällen zu fürchten. Wer abschließen kann, kann nervige Mitmen- schen ausschließen. Den Chef, die Kollegen, Freunde und Fa- milie – wer nicht hereingebeten wird, bekommt keinen Zutritt zu unserem Schutzraum. Ein echter Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. Niedrige Gehälter, Langzeit- arbeitslosigkeit und Altersarmut sind nur drei Probleme, mit de- nen viele unserer Mitmenschen jeden Tag aufs Neue zu kämp- fen haben. Sie leben von einem so niedrigen Budget, dass nicht AUSGABE 02 | NOVEMBER 2017 mehr viel Geld für Miete, Essen, Kleidung und Weiteres bleibt. Sie müssen sich mit weniger zu- friedengeben. Statt Altbau gibt’s Plattenbau, statt Stuck an der Decke Silberfische im Bad, statt hochwertiger Möbel Massen- ware vom Discounter. Wenn’s gut läuft. Denn wie in vielen anderen Städten ist Obdachlo- sigkeit auch in Hannover ganz sicher kein Fremdwort. Um die 1700 Hannoveraner schlagen sich derzeit schätzungsweise ohne festes Dach über dem Kopf durch. Ohne Schutzraum. Ohne Privatsphäre. Ohne Tür, die sie „ Zuhause ist nicht nur dort, wo der Schlüssel passt, sondern dort, wo sich das Herz wohlfühlt. hinter sich zufallen lassen kön- nen. Ähnlich geht es den vielen Geflüchteten, die in verschie- denen Einrichtungen der Stadt Unterschlupf gefunden haben. Vorerst ohne echte Perspektive auf ein eigenes Zuhause. „Gut“, werden Sie jetzt viel- leicht beim Lesen dieser Zeilen denken. „Ich kann ja schlecht alle Leute, die es gerade schwer haben, bei mir zu Hause auf- nehmen.“ Stimmt. Das können Sie nicht. Aber Sie können etwas anderes tun, was den meisten von uns entgeht: Sie können ein Zuhause-Gefühl verschenken. Was das bedeutet? Ganz einfach. Sie schenken das, was jeder von uns an seinem eigenen Zuhause schätzt: eine warme Atmosphä- re, in der man sich für eine Weile sicher und willkommen fühlt, eine leckere Mahlzeit, die herrlich duftet, ein Lächeln und ein gutes Gespräch, das einem das Gefühl gibt, nicht unsichtbar, sondern gewollt zu sein. Schauen Sie sich in den kommenden Tagen einfach mal wieder in Ihrem Viertel um. Ist dort vielleicht ein Mensch, der aussieht, als könnte er einen heißen Kaffee und eine stärken- de Mahlzeit gebrauchen? Oder kommen Sie vielleicht jeden Tag an einer sozialen Einrichtung vorbei, die gerade auf der Suche nach helfenden Händen ist? Trauen Sie sich und wagen Sie den Schritt hinein. Sie müssen nicht die ganze Welt retten, aber wenn Sie an diesem einen Tag nur einem Menschen ein Lächeln auf die Lippen zau- bern, haben Sie die Welt schon ein kleines bisschen bunter gemacht und einen Moment Heimat geschenkt. Denn: Zuhause ist nicht nur dort, wo der Schlüssel passt, sondern dort, wo sich das Herz wohlfühlt. 7