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Über das älteste Trikot und den größten Schatz

Happy Birthday, Hannover 96: Am 12. April 1896 wurde der Verein als Hannoverscher Fußball-Club von 1896 (HFC) gegründet. Am heutigen Ostersonntag wird Hannover 96 124 Jahre alt, im Geburtstagsinterview erzählt Vereinsarchivar Sebastian Kurbach von Tradition und Gemeinschaft, glänzenden Kinderaugen, einem schweren "Biest", dem ältesten Trikot und dem größten Schatz in seinen Archivräumen.

/ Klub

Sebastian, wenn man als Verein seinen 124. Geburtstag feiert, ist man dann - also aus Vereinssicht - 124 Jahre jung oder alt?

Sebastian Kurbach:
Hannover 96 ist einer der ältesten Vereine im deutschen Profifußball. Schauen wir zum Vergleich einfach auf drei andere prominente und große deutsche Klubs, die alle später gegründet wurden. Bayern München, gegründet 1900, Schalke 04, wie es der Name schon sagt, 1904. Und Borussia Dortmund 1909. Das Alter unseres Vereins ist ein Beweis dafür, dass er sich durchgesetzt hat.

Hannover 96 hat zwei Weltkriege überstanden. Der Verein hat großartige Erfolge gefeiert, aber ihm ging es auch sehr oft sehr schlecht. Aber 96 hat alle Krisen gemeistert. Das macht Mut, auch in der aktuellen Coronakrise.

Der 124. Geburtstag heute fällt in eine Zeit, in der sich durch das Coronavirus vieles dramatisch verändert hat und viele Menschen mit unsicherem Blick in die Zukunft schauen. Ist der heutige Geburtstag dennoch ein Tag zum Feiern?

Kurbach:
Ja, es sollte auch heute ein Freudentag sein, wenn auch diesmal ohne Halligalli, ohne Party. Das gibt Gelegenheit zum Innehalten. Hannover 96 ist eine sehr große Familie, auch wenn sich viele Mitglieder derzeit nicht treffen können. Aber das ändert nichts an dem Gefühl, eine starke Gemeinschaft zu sein mit dem Wissen: Hannover 96 ist für jeden da - und umgekehrt.

Kannst Du Dich noch an Dein erstes Spiel der Roten live im Stadion erinnern?

Kurbach:
Natürlich. Ich war damals 15 Jahre alt, und es war ein Heimspiel 1992 gegen Mainz 05, das mit 0:3 oder 1:3 verloren ging (1:3, d. Red., den 96-Treffer erzielte damals in der 2. Liga Reinhold Daschner). Die Leistung war damals so, dass man eigentlich hätte nie wieder hingehen dürfen (lacht). Aber ich bin dabei geblieben, habe heute meinen Stammplatz im Norden im Block N8.

Das Spiel gegen Mainz war nach dem sensationellen Pokalsieg im Mai 1992 in Berlin gegen Borussia Mönchengladbach. Hast Du damals keine Karte dafür bekommen?

Kurbach:
Nein, meine Eltern waren keine großen Fußballanhänger, und in dem Alter hätten sie mich nicht allein nach Berlin fahren lassen. Ich habe damals vor dem Fernsehgerät mitgefiebert ...

… und heute bist Du sicherlich der Hannoveraner, der den DFB-Pokal am häufigsten in den Händen hält.

Kurbach:
Nach dem Erfolg in Berlin wurde der Pokal damals in Hannover in einem Kaufhaus ausgestellt, damit ihn alle Menschen bewundern konnten. Er stand dort in einer Vitrine, und ich habe mir als Jugendlicher an der Vitrine die Nase platt gedrückt, um mir den Pokal anzuschauen. Als Archivar darf ich heute Jugendlichen den Pokal zeigen, das löst bei mir immer noch ein Kribbeln aus und ist stets ein emotionaler Moment.

Hannover 96 hat nicht nur einmal den DFB-Pokal gewonnen, sondern 1938 und 1954 auch die deutsche Meisterschaft. Hand aufs Herz: Wer ist bei den Fans beliebter: Pokal oder Schale?

Kurbach:
Die größere Anziehungskraft hat tatsächlich die Meisterschale, das hat aber auch ganz praktische Gründe: Der Pokal ist ein 20 Kilogramm schweres Biest (lacht), vor dem haben viele Respekt, wenn sie ihn in den Händen halten. Die Schale ist leichter, da geht man schneller mit in Jubelpose. Aber der Pokal war und ist ein begehrtes Fotomotiv: Das glückliche Strahlen, das vor allem Kinder zeigen, wenn sie den Pokal anfassen dürfen, ist für mich eine wahre Wonne. Es gibt Kinder, die machen bei der Saisoneröffnung, wenn wir den Pokal präsentieren, von sich und der Trophäe ein Bild. Und stehen im nächsten, übernächsten und überübernächsten Jahr wieder da und machen erneut ein Foto.

Die Meisterschaften der Roten liegen viele, viele Jahre zurück. Kann sich da heute überhaupt noch jemand daran erinnern, oder muss der Archivar da ein bisschen nachhelfen?

Kurbach:
Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Fachwissen auch die Jüngeren haben. Ich behaupte mal: Jedes Kind, das sich heute für 96 begeistert, weiß das mit den Meisterschaften von 1938 und 1954.  Und ich kann ohne Übertreibung feststellen: Was die Geschichte ihres Klubs angeht, da haben 96-Fans ein gutes Allgemeinwissen. Das macht mich sehr stolz. Und vielleicht habe ich als Archivar ja auch ein wenig dazu beitragen können ...

Ist Fußballgeschichte eine Möglichkeit, Kinder und Jugendliche auch allgemein für Geschichte zu begeistern?

Kurbach:
Auf jeden Fall. Wenn ich in Schulklassen unterwegs bin, dann ist es immer schön zu sehen, wie man über Fußballthemen die Schülerinnen und Schüler auch für andere Bereiche interessieren kann, zum Beispiel die Geschichte von Hannover 96 im Nationalsozialismus.

Was sind Deine persönlichen Höhepunkte in der Historie von Hannover 96?

Kurbach:
Es gibt viele Highlights. Eines, an das ich mich besonders gerne erinnere, fand 2017 statt. Martin Kind hatte damals die Pokalsiegermannschaft von 1992 zu sich in den Kokenhof nach Großburgwedel eingeladen. Bis auf André Breitenreiter und Jörg Sievers, die ein Spiel hatten, waren alle gekommen, von Trainer Michael Lorkowski über den Masseur bis zum Zeugwart. Das war ein besonderer Moment, der gezeigt hat, welche breite Basis wir haben.

Wir waren der erste Verein mit einem professionellen Archiv, und mit unseren Ehemaligentreffen haben wir immer die Brücken in die Vergangenheit gebaut. Schalke 04 zum Beispiel hat die Idee dieser Treffen später übernommen.

Meisterschale und Pokal kennen alle. Hast Du einen Geheimtipp für ein besonderes Relikt im 96-Archiv?

Kurbach:
Der größte Schatz im 96-Archiv ist eine handgeschriebene Chronik. Mit ihr wurde am 12. Dezember 1896 begonnen. Das zeigt, dass die Gründungsväter damals sicher waren, dass sie etwas geschaffen hatten, was überdauern würde, sonst hätten sie damit nicht angefangen. Sie haben Recht behalten.

Wie viele Trikots gibt es eigentlich im 96-Archiv?

Kurbach:
Es dürften mittlerweile 250 Trikots sein. Sie werden uns von ehemaligen Spielern oder von Fans zur Verfügung gestellt, mit ihnen kann man eine wunderbare Reise durch die 96-Fußballgeschichte machen.

Von wann stammt das älteste Trikot?

Kurbach:
Das älteste Trikot ist ein Torwarttrikot aus den fünfziger Jahren. Ein schwarzer, kratzender Wollpulli, der nach Regen schwer wie ein Sack am Torhüter hing. Das Trikot wiegt vermutlich so viel wie heute 20 Torwarttrikots von Ron-Robert Zieler.

Zum Geburtstag darf man sich ja was wünschen. Was wünscht sich der 96-Archivar zum 124. seines Vereins?

Kurbach:
Ich wünsche mir, dass wir Forschungslücken in der Vereinsgeschichte schließen und unseren Bildbestand erweitern können. Ich würde mich freuen, wenn Fans uns Bilder, Eintrittskarten, Stadionhefte und, und, und zur Verfügung stellen. Gern als Spende, wer sich aber von seinem Erinnerungsstück nicht trennen möchte, dann fotografieren wir es gern.

Zum Schluss bleibt noch die Frage: Machst Du am heutigen Sonntag etwas Besonderes?

Kurbach:
Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass ich mit einem kühlen Blonden auf Hannover 96 anstoße, und zwar mit einem Bierkrug aus dem Jahr 1996.
Interview: Heiko Rehberg


Zur Person: Sebastian Kurbach hat Geschichte und Archäologie studiert in Hannover und Kiel. Seit 2010 arbeitet er bei Hannover 96, seit 2012 hauptberuflich als Archivar. Kurbach ist ein wandelndes 96-Lexikon. Er hält jedes Jahr in der gesamten Region Vorträge über die Geschichte von Hannover 96, seine Archivabende erfreuen sich großer Beliebtheit.

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