NIEMALSALLEIN

"Es gibt in ganz Bochum kein Bier!" Ein anklagender Hilferuf aus der Gästekabine der "Roten". Erst die Klasseleistung zum Klassenerhalt, dann die fragenden Blicke, hektische Betriebsamkeit, eine Fete mit Verzögerung.

 

Typisch für diese Saison der "Roten". Endlich haben sie einmal Grund zum Feiern. Aber auch dann hat die Sache wieder einen Haken. Trockener Humor statt feucht-fröhlich. Laute House-Musik von Mike Hankes iPod kracht aus der Kabine, wenn dann und wann die Tür aufgeht und ein Spieler zum Interview in den Kabinenvorraum kommt oder Mannschaftshelfer ihre Botengänge verrichten. Nur laute Musik. Kein Jubel, Kreischen, keine Heiterkeit. Einsam singt einzig der unentwegte Zeugwart Michael "Mille" Gorgas. Klar, Spieler, Sportdirektoren, Trainer kommen und gehen – "Mille" bleibt. Und singt. "96, 96, du wirst niemals untergehn?" Oft ist in den ersten Zitaten nach dem Spiel zu hören, dass der Klassenerhalt ein Beleg für eine intakte Mannschaft sei. Verdächtig oft. Müsste dann nicht aus der Kabine anderes zu hören sein? Vorsicht mit Spekulationen. Die Saison war in vielerlei Hinsicht brutal für die 96er. Nervenanspannung, blanke Angst beim einen oder anderen, Verletzungssorgen, und natürlich die Last des Verlustes von Robert Enke – all das fällt nicht mit dem Schlusspfiff auf dem Bochumer Spielfeld, sondern erst nach und nach von den Spielern ab. Erst spät am Abend vor den Fans in der heimischen AWD-Arena ist das entspannte Lächeln in viele Gesichter zurückkehrt. Wenn auch längst nicht in alle. Dieses Team, so weit es denn überhaupt eines ist, darf höchstens als eine Mannschaft im Umbruch gesehen werden. Es wird Tage, Wochen, vielleicht bis nach der WM dauern, bis wirklich klar erkennbar wird, wie tiefgreifend dieser Umbau wird. Wer von denen, die beim Schlusspfiff in der Fankurve getanzt, dann über Robert Enke geweint, dann – nach endlosem Warten – in der Kabine schließlich ihr Bier getrunken, sich geduscht und beruhigt haben, bewegt heimlich Gedanken des Abschieds? Arnold Bruggink etwa, dessen Vertrag ausläuft, sagt: "Ich wollte immer den Klassenerhalt schaffen. Jetzt habe ich sogar noch ein Tor geschossen. Eigentlich wäre das ein perfektes Abschiedsspiel." Wie um die Wirkung der Worte zu mildern schiebt er hinter her: "Aber man soll natürlich nie nie sagen, und ich werde noch mal mit dem Sportdirektor sprechen." Worüber? Warme Worte. Die Entscheidung an sich ist gefallen. Im Grunde genommen steht schon fest, dass es für den Kapitän nicht mal mehr einen Blumenstrauß zum Abschiedsspiel geben wird – mangels Gelegenheit. Auf Nimmerwiedersehen auch Hanno Balitsch, Sergio Pinto, Steve Cherundolo, Salvatore Zizzo, Jacek Krzynowek, Leon Andreasen? Nur ein paar Namen, vielleicht noch längst nicht alle, um die Dimension des Umbruchs zu skizzieren. In der Gästekabine des Bochumer Stadions hing am Sonnabend ein selbst gemachtes Poster mit einer Aufmunterung darauf: "Heute schaffen wir das – alle zusammen. Yes, we can. Yes, we will!" Darüber und darunter die Fotos von allen 96ern samt Trikotnummern und dem gesamten Betreuerteam. Physiotherapeut Ralf Blume hatte die Idee, der Mann für die Massage und die Message – die Botschaften in der Kabine. Und wer könnte die Wirkung bestreiten. In der vergangenen Saison hatte Blume in derselben Kabine ein Hannover-Ortsschild aufgehängt. Und prompt beendeten die heimstarken aber auswärts lange sieglosen "Roten" die Misere auf fremden Plätzen. Und jetzt klappte es mit dem Poster zum Klassenerhalt. Die letztmalige Beschwörung des Wirgefühls in einem Team, das für die nächste Saison erst neu erfunden werden muss. Und es ist noch nicht einmal klar, von wem.

 

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