Ein halbes Jahrhundert Europapokal
Vor 50 Jahren spielte Hannover 96 als fünftes Team aus Westdeutschland in einem europäischen Wettbewerb und war damit deutlich vor dem FC Bayern München, dem Hamburger SV oder gar Werder Bremen international präsent. Am 9. November 1958 gaben die Roten ihr Debüt im Europapokal. Insgesamt kann der Verein auf 23 Spiele in diesem Wettbewerb zurückblicken. Dabei kam es zu Duellen mit namhaften Gegnern wie dem FC Barcelona, Inter Mailand, AS Rom, SSC Neapel, Leeds United, FC Porto und Ajax Amsterdam.
Vom "Messepokal" zum "UEFA-Cup"
Nicht immer trug der europäische Wettbewerb den Namen "UEFA-Cup". Das Turnier wurde zunächst unter dem Namen "Inter-Cities Fairs Cup" ausgetragen und zwischen den Handelsmessestädten Europas ausgespielt. Diesem Vereinswettbewerb lag die Idee zu Grunde, die inner-europäischen Kontakte zu verbessern. Erst 1971, als die UEFA die Schirmherrschaft übernahm, öffnete sich das Turnier dann für alle Städte des Kontinents.
96 beginnt das "Abenteuer Europa"
Am 9.11.1958 erfolgte Hannovers Europa-Premiere vor 20.000 Zuschauern im Niedersachsenstadion. Ein Großteil der 96-Spieler ging neben dem Fußball einem regulären Beruf nach. Für diese "Amateurmannschaft" war es also ein ganz besonderes Erlebnis, sich mit Vollprofis zu messen. Der erste Gegner war der AS Rom und dessen Kader war gespickt mit internationalen Berufsfußballern.
Fritz Silken, damaliger 96-Trainer und heute 90 Jahre alt, erinnert sich noch heute an dieses Europadebüt: "Erstmals traf 96 in einem richtigen Wettbewerb auf ein Team aus dem Ausland – da war schon ein Unterschied zu erkennen. Der AS Rom hatte einen mit Spielern aus Brasilien, Uruguay, Schweden, England und Italien besetzten Kader und es war klar, dass es ein schweres Spiel für uns werden würde. Obwohl wir in Hannover mit 1:3 verloren haben, hat mein Team den Römern einen spannenden Kampf geboten und die Zuschauer haben ein - für die damalige Zeit - sehr gutes Spiel gesehen".
Kinokarten für den Aushilfs-Torwart
96-Kapitän Heinz Elzner, der die Roten in dem Spiel unermüdlich antrieb, erinnert sich heute: "Für meine Mitspieler und mich war dieses Wettspiel etwas ganz besonderes, denn wir spielten erstmals in Europa. Es hatte zwar schon Freundschaftsspiele gegen Tottenham Hotspur und im Jahr 1957 eine Reise nach Mexiko gegeben, aber das Spiel gegen den AS Rom war ein echter Wettbewerb: der Europapokal. Vor der Begegnung hatten wir große Probleme – wir hatten keinen gesunden Torwart. Stammkeeper Hans Krämer und sein Ersatz Karl Köstler waren verletzt und konnten nicht eingesetzt werden. Da war guter Rat teuer. Zum Glück wussten wir, dass Torwart Ewald Stiller, der 96 vor der Saison verlassen hatte, sich noch keinem neuen Verein angeschlossen hatte. Da sagten die Mitspieler zu mir: Du bist unser Kapitän und daher musste du ihn bitten uns zu helfen. Ich nahm Kontakt mit ihm auf uns schilderte ihm die Verletzungsprobleme vor diesem großen Spiel. Glücklicherweise konnte ich Ewald Stiller nach langem Zureden überzeugen und er sagte zu, bei diesem Spiel auszuhelfen. Das wäre heute sicher undenkbar, aber damals war so etwas noch möglich. Ich habe Ewald Stiller dann am Tag vor dem Spiel am Bahnhof abgeholt und bin abends mit ihm ins Kino gegangen. Damit wollte ich mich bei ihm dafür bedanken, dass er uns als Torwart aushalf."

Der damalige 96-Kapitän: Heinz Elzner
"Arrivederci Roma"
Die 96 Spieler haben am Tag vor dem Spiel noch bis 14 Uhr gearbeitet und sind dann zum offiziellen Empfang mit dem AS Rom erschienen. Die Spieler aus dem damaligen 96-Kader erinnern sich noch heute gern an dieses Ereignis. Dabei sangen die Hannoveraner den bekannten Gassenhauer "Arrivederci Roma" und wurden von ihren Gegnern belehrt, dass es in dem sehr beliebten Lied eigentlich "Arrivederci a Roma – Auf Wiedersehen in Rom" heißen müsse.
Die "Schwarze Spinne" und ein Weltmeister
"Ein Trainingslager vor diesem wichtigen Spiel wie heute üblich war damals völlig unbekannt", beschreibt der heute 79-Jährige Heinz Elzner die Vorbereitungen auf das Spiel. "Unsere Gegner aus Rom hatte Topspieler in ihren Reihen. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Torwart: Ragno Nero – die 'Schwarze Spinne'. So wurde Fabio Cudicini genannt. Er galt mit 1,91m als einer der körperlich größten Torhüter der damaligen Zeit. Im Sturm spielte der überragende Uruguayer Alcides Ghiggia. Er hatte 1950 den WM-Titel für Uruguay mit seinen Toren gesichert. Im legendären Finale der WM im Maracana Stadion in Rio de Janeiro schoss er gegen Brasilien das entscheidende Tor zum 2:1-Sieg der Nationalelf Uruguays. Damit stürzte er den WM-Gastgeber in tiefe Trauer. Er stellte uns in der Defensive durch seine unglaubliche Ballbehandlung vor große Probleme. Er war technisch sehr versiert und spielte viele Vorlagen auf seinen brasilianischen Mannschaftskollegen Dino da Costa. Zwei Pässe nutze der Nationalspieler nach dem Seitenwechsel zu Torerfolgen und stellte damit den Auswärtserfolg sicher", schildert Elzner lebhaft die Erinnerungen an dieses denkwürdige Spiel.
Ein Treffer, zwei Torschützen
Wer in der zweiten Halbzeit den zwischenzeitlichen Ausgleich für 96 erzielt hat, ist bis heute nicht geklärt. Nach einem scharf herein gegebenen Eckball von 96-Verteidiger Friedel Schicks stieg Stürmer Georg Kellermann zum Kopfball hoch und der Ball landete im Netz. "Ich habe den Eckball direkt verwandelt – Georg hat den Torwart nur irritiert. Wenn man nur wenige Treffer erzielt hat, kann man sich an jedes einzelne erinnern", stellt der 80-Jährige Friedel Schicks noch 50 Jahre später mit großer Überzeugungskraft klar. In den Aufzeichnungen wird allerdings Sturmtank Georg Kellermann als 96-Torschütze verzeichnet.

Vermeintlicher Torschütze: Friedel Schicks
"Unser neuer Trainer Fritz Silken, der im Sommer 1958 gekommen war, wollte unser Spiel modernisieren und wir konnten die Veränderungen noch nicht umsetzen. Wenn wir im Hinspiel in Hannover schon so gefestigt gewesen wären, wie im Rückspiel in Rom, wäre vielleicht auch ein Erfolg gegen den AS Rom möglich gewesen" stellt Heinz Elzner heute im Rückblick noch mit leichter Wehmut fest.
Schwerer Stand für Amateur-Fußballer
Auch 96-Sturmlegende Hannes Tkotz, der schon 1954 in der 96-Meisterelf stand, kann sich noch gut an das Spiel gegen den AS Rom erinnern. "Wir waren gegenüber diesen echten Profis natürlich im Nachteil. In der Woche arbeiteten wir und trainierten dann ab 18 Uhr. Für jedes Samstagtraining musste man mit dem Arbeitgeber über Freizeit verhandeln, denn es gab ja die 6-Tage-Woche. Daher haben wir gegen die Profis vom AS Rom leider nicht so erfolgreich agieren können. Außerdem hatten wir vor diesem Team auch sehr viel Respekt", resümiert er die Partie noch heute kritisch.
09.11.1958 Hannover 96 – AS Rom 1:3 (0:1)
Hannover 96: Stiller – Geruschke, Fassnacht, Schicks, Elzner, Kühn, Wewetzer, Gawletta, Tkotz, Wenker, Kellermann – Trainer: Fritz Silken
AS Rom: Cudicini (65. Tesari) – Griffith, Losi, David, Stucchi, Zaglio, Ghiggia, Guarnacci, Da Costa, Tasso, Selmonsson – Trainer: Gunnar Nordahl
Tore: 0:1 Tasso (25.); 1:1 Kellermann (69.); 1:2 (74.) Da Costa; 1:3 (78.) Da Costa