Siebter Deutscher Meister
In Hamburg am 26. Mai 1912: Holstein Kiel wird Deutscher Fußballmeister - als siebtes Team in der neunten Ausgabe. Als einziger Klub der ersten sieben Titelträger findet sich die Kieler Sportvereinigung Holstein - wie sie im Original heißen - in der Gegenwart im Profigeschäft wieder. Ohnehin waren die "Störche" lange Zeit eine feste Größe im deutschen Fußball und spielten stets in den höchsten Spielklassen. Und zwar genau so lange, bis beim DFB die Idee der Bundesliga durchgesetzt wurde. Die Einführung fand bekanntlich zur Saison 1963/64 statt und der Verteilerschlüssel zur Ermittlung der 16 Teilnehmer sah im Norden andere Vertreter vor als Holstein Kiel oder Hannover 96. In den ersten Jahren als Zweitligist in der damaligen Regionalliga Nord hielt Kiel noch vorne mit und erreichte in der Spielzeit 1964/65 als Meister die Bundesliga-Relegation, aber Aufstiegsspiele für das Oberhaus sind damals wie heute wie ein rotes Tuch in der Vereinshistorie.
Endgegner Relegation
In der damals noch ausgetragenen Vierergruppe stieg einzig Borussia Mönchengladbach auf, sodass nicht nur in den Anfängen der Bundesliga die Entscheidungsspiele nicht für den Aufstieg ausreichten, sondern gleiches gilt auch für die Jahre 2018 und 2021, wo die Mannschaft aus Schleswig-Holstein, sowohl gegen den VfL Wolfsburg (1:3; 0:1) als auch gegen den 1. FC Köln (1:0; 1:5) das Nachsehen hatte. Bevor es allerdings überhaupt möglich war, in der jüngeren Vergangenheit um die erstmalige Teilnahme der Bundesliga zu spielen, musste Holstein einen langen Weg, mitunter in der Vierklassigkeit, bestreiten. Mit der Regionalliga-Meisterschaft 2012/13 - zu diesem Zeitpunkt eben vierte Liga - wendete sich das sportliche Blatt. In der zweiten Drittliga-Spielzeit hatte der KSV sogar per Relegation den Aufstieg möglich machen können, aber einmal mehr hatte es Kiel mit dem eigenen roten Tuch zu tun - es reichte nicht gegen den TSV 1860 München (0:0; 1:2). Den erstmaligen Weg in die 2. Bundesliga fand man an der Ostsee dann aber mit der Vizemeisterschaft in Liga drei 2016/17.
Schleichender Erfolg
So wird im Holstein-Stadion nun im siebten Folgejahr Zweitligafußball gespielt, Kiel behauptete sich in der Endplatzierung - mit Ausnahme von Rang elf 2019/20 - jeweils im einstelligen Bereich und scheiterte eben bereits doppelt in der Relegation. In der Saison nach dem letzten Aufstiegsversuch übernahm der heutige Coach Marcel Rapp das Team in der Landeshauptstadt Schleswig-Holsteins. Der 46-Jährige behauptet sich damit bereits im dritten Jahr auf seinem ersten Cheftrainerposten im Herrenbereich, bis dato war Rapp im Nachwuchs der TSG Hoffenheim angestellt und wechselte aus der dortigen U19 in den hohen Norden. Nach Platz neun und acht in der Endtabelle unter Rapp haben sich seine "Störche" in dieser Saison heimlich an die Spitze geschossen. In den ersten sieben Partien hatte man noch drei verloren, vor der aktuellen Siegesserie stand nach zwölf Spieltagen Platz fünf zu Buche, da waren es noch sechs Zähler bis zum Spitzenreiter St. Pauli. Dann begann die aktuelle von vier Siegen in Folge, sodass vor dem Hinrunden-Abschluss gegen Hannover 96 die Herbstmeisterschaft im Fernduell mit dem Hamburger Kiezklub möglich ist. Dieses Szenario bezeichnete Rapp auf der Kieler Pressekonferenz als "Nebending", wichtig seien erstmal drei Punkte. Punktgleich, aber mit dem um einiges schwächeren Torverhältnis, rangiert Kiel uneinholbar auf Position zwei. "Wir sind gut gewappnet und in einem guten Flow", zeigte sich Rapp selbstbewusst.
Kieler Stärken
Der in Pforzheim geborene Fußballlehrer hat seine Mannschaft mit ordentlich taktischer Variabilität ausgestattet. Die vorausgegangenen vier Begegnungen sind unsere kommenden Gastgeber mit jeweils unterschiedlichen Grundformationen aufgelaufen, Rapp passt sich gerne dem Gegner an, für jeden von ihnen existiert eine eigene Idee. Diese Unausrechenbarkeit lässt nur schwer eine gezielte Analyse für den Gegner zu und auch bei den Standards passt der Begriff ziemlich gut. Holstein Kiel hat ligaweit die meisten Treffer (zehn) nach ruhendem Ball erzielt. Diese bereits aufgezählten Stärken werden von einer extrem hohen Intensität ergänzt. Lauf- und Arbeitsmoral stechen neben den Standards auf dem Papier ligaweit heraus: die drittmeisten intensiven Läufe, die zweitmeisten Sprints, die zweithäufigsten Fouls, und die meisten gewonnenen Kopfballduelle.
Talente kompensieren Leistungsträger
Die Abgänge von Leistungsträgern wie Fabian Reese (Hertha BSC) oder Hauke Wahl (FC St. Pauli) haben sich durch vielversprechende Talente kompensieren lassen. Zum einen hat Linksverteidiger Tom Rothe mit seinen 18 Jahren noch kein Spiel von 18 (Liga und Pokal) verpasst, stand nur einmal nicht in der Startelf, ist mit fünf Assists bester Vorlagengeber seiner Mannschaft, wird aber als Leihgabe von Borussia Dortmund vermutlich nur die eine Saison im Holstein-Stadion auflaufen. Zum anderen überrascht Marko Ivezic als Defensivallrounder, agierte bereits sowohl auf der "Sechs" als auch in der Innenverteidigung und der 21-Jährige kam für ein Taschengeld aus Serbien vom FK Vozdovac. Ebenfalls als Neuer auf sich aufmerksam macht Colin Kleine-Bekel. Der 20-Jährige - auch ursprünglich beim BVB ausgebildet - wurde aus der eigenen U23 hochgezogen und ist mittlerweile gesetzt. Und dann gibt es da noch die gefährlichen Offensivleute. Die Top-drei-Torschützen sind allesamt in vorderster Reihe zu finden. Der Österreicher Benedikt Pichler sticht da mit sieben Toren und zwei Vorlagen nochmal gesondert heraus.
Zusammenfassend halten wir fest: Die Mannschaft ist der Star, und wenn Kiel aufsteigen möchte, dann müssten sie es wohl auf direktem Wege versuchen.
cvm