Denn ein Spieler trainierte, und zwar derjenige "Rote", mit dem am allerwenigsten zu rechnen war: Robert Enke machte mit Torwartcoach Jörg Sievers eine 35-minütige Übungseinheit, als Zuschauer dabei waren lediglich 96-Sportdirektor Jörg Schmadtke, 96-Pressesprecher Andreas Kuhnt, Enkes Berater und Freund Jörg Neblung sowie HAZ-Fotograf Ulrich zur Nieden und ein paar zufällig vorbeikommende Schulkinder.
Was aussah wie eine gute Nachricht für alle 96- und Enke-Fans, war aber eher Ablenkung von dem nächsten Rückschlag für den 32-Jährigen. Die Bluttests im Hamburger Tropeninstitut haben zwar bestätigt, dass keine ansteckende Krankheit vorliegt. Sie haben aber nicht das erbracht, was sich Enke erhofft hatte: Klarheit und die Ursache für seine gesundheitlichen Probleme. "Wir tappen weiter im Dunkeln", sagt Berater Neblung, der die überraschende Trainingseinheit so einstufte: "Robert ist noch weit weg von seiner alten Leistungsfähigkeit."
Für Enke geht die Zeit des Rätselns und Wartens damit weiter. Und die Zeit der Arztbesuche. "Wir werden jetzt andere Spezialisten zu Rate ziehen", sagt Neblung. In der offiziellen Pressemitteilung von Hannover 96 ist von "weiteren Untersuchungen bei verschiedenen Experten" die Rede. Das derzeitige Problem liegt auf der Hand: Ohne genaue Diagnose gibt es keine zielgerichtete Therapie. Enke fühlt sich nach wie vor schlapp und müde, "auch die Nächte sind nicht wirklich erholsam für ihn", sagt Neblung.
Heute wird sich Enke einem ausführlichen Belastungstest unterziehen. Verläuft dieser ohne Komplikationen, wird Enke nach Auskunft von Ärzten individuell trainieren können, an einen Wettkampf, also ein Bundesligaspiel, ist derzeit aber nicht zu denken. "Ich werde jeden Tag gefragt, ob Robert Sonnabend gegen Dortmund wieder spielen kann und ob er in der Nationalelf gegen Russland im Tor steht", sagt Neblung, "aber wir können dazu überhaupt nichts sagen, erst recht nicht über den Zeitrahmen."
Selbst wenn nun einer der Spezialisten etwas fände, hieße das nicht automatisch, dass der 96-Kapitän sofort wieder voll loslegen könne. Dass Bundestrainer Joachim Löw gestern in einem Interview des Fachmagazins "kicker" Enke unter Zeitdruck setzte, nahm Neblung gelassen hin. "Das ist alles ganz normal, es ist doch klar, dass Robert nicht nach einer Trainingseinheit im Nationaltor stehen kann. 96 und die Nationalmannschaft brauchen einen fitten Enke", sagt Neblung.
Löw hatte geäußert, dass Enke "in Moskau eher nicht spielen" wird, wenn er "erst eine Woche vor der Abreise nach Russland das Training aufnimmt. Denn um optimale Leistung bringen zu können, braucht man neben körperlicher Fitness auch den Rhythmus regelmäßiger Einsätze."
Heute in 25 Tagen findet in Moskau das vermutlich entscheidende WM-Qualifikationsspiel zwischen Russland und Deutschland statt. Gewinnt die deutsche Mannschaft dort, ist sie direkt für das Turnier 2010 in Südafrika qualifiziert, bei einer Niederlage droht der Umweg über die Relegationsspiele. Für die Nationaltorhüter ist die Partie in Moskau deshalb so wichtig, weil Bundestrainer Joachim Löw bislang keinen Hehl daraus gemacht hat, dass eine gute Leistung in dieser Partie eine Vorentscheidung in der Torwartfrage wäre. Das macht auch durchaus Sinn, denn wer in einem Spiel mit extremer Drucksituation die Nerven behält, der ist auch der Richtige für ein langes Turnier.
Bis zu seinen gesundheitlichen Problemen hatte 96-Torwart Robert Enke die Garantie, in Russland zu spielen – und damit es selbst in der Hand, die Konkurrenten Rene Adler (Leverkusen), Manuel Neuer (Schalke) und Tim Wiese (Bremen) auszustechen. Mittlerweile ist eine neue Situation entstanden. Löw hält Enke die Tür weiter offen, machte aber gleichzeitig deutlich, dass Enke – wenn man es einmal interpretiert – bis spätestens Ende dieses Monats wieder spielen muss. Das wäre die Begegnung am 26. September beim deutschen Meister VfL Wolfsburg.
Löw wird seinen Kader für das Moskau-Spiel vor der Bundesligapartie von Hannover 96 gegen den SC Freiburg (3. Oktober) bekannt geben. Das WM-Qualifikationsspiel in Moskau ist für Torhüter eine besondere Herausforderung. Es findet auf Kunstrasen statt, da "entsteht ein komplett anderes Spiel" (Löw). Die Bälle springen anders ab, in der Regel höher. Sollte
Enke rechtzeitig gesund werden, hilft es ihm nicht, auf dem 96-Kunstrasenplatz in der Eilenriede den Ernstfall zu proben. Im Vergleich zu dem Moskauer Platz stammt der hannoversche Kunstrasen aus der Steinzeit.