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Kyrylo und seine Liebe zum Fußball

Gemeinsam mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder flüchtete der zehnjährige Kyrylo nach Hannover, als vor einem Monat die ersten russischen Bomben auf seine Heimatstadt Kiew fielen. Sein Zuhause, seine Freunde und Teile seiner Familie – all das musste er hinter sich lassen. Was ihm bleibt, ist die Liebe zum Fußball.

/ Fußballschule, Klub
Im 96-Talents+Friends-Trikot: Kyrylo lächelt gemeinsam mit Dennis Coors von der TuS Wettbergen (l.) und 96-Fußballschulleiter Arne Kübek in die Kamera. (Foto: 96/Redaktion)

"Wir sind von den Einschlägen der Bomben wach geworden"
Freitagnachmittag in Hannover. 96-Talents+Friends, die Fußballschule von Hannover 96, macht Halt in Wettbergen. Die festliche Eröffnung des ersten großen Wochenendcamps 2022 übernimmt 96-Geschäftsführer Martin Kind persönlich – rund 80 aufgedrehte Kids können es kaum erwarten, bei bestem Wetter endlich gegen den Ball zu treten. Eines von ihnen ist der zehn Jahre alte Kyrylo Prysedko. Als das Training beginnt, strahlen seine Augen vor Begeisterung. Angesichts dessen, was er in den vergangenen Wochen erlebt hat, ist das alles andere als selbstverständlich, denn Kyrylo musste mit seiner Familie vor dem Krieg in der Ukraine fliehen. Umso mehr macht es seinen Vater Andrey glücklich, diese Freude bei seinem Sohn zu sehen, wenn er Fußball spielen kann.

"Wir haben zuhause in Kiew geschlafen und sind von den Einschlägen der Bomben wach geworden", erinnert Andrey sich. "Wir wollten da raus, hatten Angst um unser eigenes Leben und das Leben unserer beiden Kinder." Andrey, seine Frau Oxana, Kyrylo und sein fünfjähriger Bruder Mischa ergreifen die Flucht gen Westen. Ihr Ziel: Hannover, wo Freunde die Familie Prysedko bei sich aufnehmen. "Es war für uns keine Frage, wir mussten den Krieg hinter uns lassen", sagt Andrey mit fester Stimme. "Wir möchten in Frieden leben. Kyrylo muss in die Schule, und natürlich muss er trainieren." In Kiew habe er sechsmal pro Woche Training gehabt. "Mit dem Ausbruch des Krieges war an Sport nicht mehr zu denken, stattdessen kamen viele schlechte Gedanken in seinen Kopf." Um die wenigstens auf Zeit beiseiteschieben zu können und in der neuen Lebenssituation nicht auch noch auf das liebste Hobby verzichten zu müssen, ist klar: Kyrylo braucht auch in Hannover unbedingt die Möglichkeit, Fußball zu spielen.

"Und dann war’s plötzlich mucksmäuschenstill"
Über einen Kontakt kommt der Zehnjährige zur TuS Wettbergen. Der Klub aus dem Südwesten Hannovers bemüht sich sehr, Kinder von Geflüchteten abteilungsübergreifend in den Verein zu integrieren. Sogar per Flyer unter dem Motto #NoWar wird dazu aufgerufen. "Als Kyrylo den ersten Tag bei uns war", erinnert sich Dennis Coors, Abteilungsleiter Fußball bei der TuS, "bin ich mit ihm zum Training der E-Jugend gegangen." Er habe ihn vorgestellt und gesagt, dass er aus der Ukraine kommt und die Kids ihn einbinden sollen. "Und dann war’s plötzlich mucksmäuschenstill. Man hat richtig gemerkt, dass das für die Kinder gewissermaßen der erste direkte Kontakt mit dem Krieg gewesen ist."

Die Integration gelingt. "Wir wurden hier in Hannover sehr gut aufgenommen", bestätigt Papa Andrey. "Auch die anderen Kinder gehen mit Kyrylo sehr gut um." Und das trotz Sprachbarriere. Der Zehnjährige lernt aber auch bereits fleißig Deutsch. "Und wenn er im Training einmal etwas nicht versteht", erklärt Andrey, "schaut er sich an, was die anderen machen, und dann klappt es meistens." Der Fußball braucht eben nicht viel Sprache.

Nun trägt Kyrylo das 96-Trikot
Für Vater und Sohn spielt der Sport mit dem runden Leder eine große und besondere Rolle. "Kyrylo und ich lieben den Fußball sehr", sagt Andrey. "Natürlich verfolgen wir den Fußball in der Ukraine. Aber wegen des Krieges wird die Meisterschaft dort nicht zu Ende gespielt werden." Doch auch was den Fußball in Deutschland betrifft, sind die Prysedkos firm. "Klar, wir verfolgen auch die Bundesliga", bestätigt Andrey und fügt hinzu: "Und ich erinnere mich daran, dass Hannover vor ein paar Jahren gegen Vorskla Poltava in der Europa League gespielt hat." Die Reise in die Ukraine im Jahr 2011 war eines der vielen besonderen Erlebnisse der 96-Europa-League-Zeit.

An diesem Freitagnachmittag sieht Andrey seinen Sohn erstmals selbst ein Trikot mit der 96 auf der Brust tragen. "Das gefällt mir", sagt er lächelnd. Wie es dazu kam? Der engagierte Dennis Coors nahm im Vorwege des großen Wochenendcamps Kontakt zum 96-Talents+Friends-Team auf. "Wir wussten ja, dass er in Kiew sechsmal die Woche trainiert hat und von Fußball nicht genug kriegen kann", sagt Coors. "Also dachte ich, es ist eine gute Idee, dass er daran teilnimmt. Unsere Anfrage bei der Fußballschule von 96 ist auf total offene Ohren gestoßen."

96 will und wird helfen
"Es hat uns sehr gefreut, dass die Initiative von Seiten der TuS Wettbergen ergriffen wurde. Wir wollten das natürlich gerne unterstützen", berichtet 96-Fußballschulleiter Arne Kübek, der bei Kyrylo auf die Teilnahmegebühr selbstverständlich verzichtet. Fußball sei eine große Möglichkeit, sich schnell zu integrieren, sagt er. "Man lernt neue Freunde kennen. Und klar: Auf dem Platz zählt nur der Fußball. Den Alltag und all die schlimmen Gedanken kann man dort zumindest für einen Moment beiseiteschieben."

Der Fußball kann und soll also einmal mehr integrieren und verbinden. Bestes Beispiel: Kyrylo, der beim Wochendcamp in Wettbergen nach dessen Eröffnungsansprache auch die Aufmerksamkeit von Martin Kind auf sich zieht. "Ich finde es super, dass Kyrylo heute hier in Wettbergen teilnimmt, und hoffe, dass er sich hier wohlfühlt", sagt der Geschäftsführer von Hannover 96. Und Kind verspricht: "96 wird ihm und Kindern, die wie er vor dem Krieg geflohen sind, jederzeit im Rahmen der Möglichkeiten helfen."

Zentraler Kontaktpunkt wird geschaffen
Ein Projekt ist bereits geplant. Initiiert von 96-Talents+Friends und 96plus soll eine zentrale Anlaufstelle geschaffen werden für Familien mit einem ähnlichen Schicksal wie die Prysedkos: "Wir kriegen gerade immer mehr Anfragen für Kinder, die mit ihren Familien vor dem Krieg geflüchtet sind", berichtet Arne Kübek. "Viele Kids haben in ihrer Heimat immer Fußball gespielt – das soll ihnen hier nicht fehlen." Auf der 96-Website wird ein zentraler Kontaktpunkt für solche Anfragen eingerichtet, "um möglichst vielen geflüchteten Familien aus der Ukraine einen einfachen Zugang zum Fußball hier in Hannover zu geben. Dafür können wir unser Partner- und Vereinsnetzwerk super nutzen." Schließlich bestehe Kontakt zu vielen Vereinen, die über den gesamten Großraum Hannover und darüber hinaus verteilt sind. "So können wir, je nachdem, wo ein Kind mit seiner Familie eine Unterkunft gefunden hat, dort nach einem passenden Verein schauen und einen Kontakt herstellen."

Bei Kyrylo und der TuS Wettbergen passt es schon jetzt. Der Klub wird für den talentierten Jungen, der auch beim Wochenendcamp von 96-Talents+Friends eine gute Figur macht, eine Spielberichtigung beantragen. Denn eines ist klar, obwohl sein Leben sich vom einen auf den anderen Tag komplett geändert hat: Die Liebe zum Fußball wird Kyrylo sich trotz allem nicht nehmen lassen.
hec

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