NIEMALSALLEIN

 

Von Heiko Rehberg «Hannover.»

Mal angenommen, man würde heute den Fünfmeterraum in der AWD-Arena mit den Briefen, ausgedruckten Mails und Faxen bedecken, die die Sportredaktion in dieser Woche zum Thema Hannover 96 bekommen hat: Robert Enke müsste im Bundesligaspiel gegen Bayer Leverkusen in einer weiten Papierlandschaft stehen. Von wegen, dass die Menschen nicht mehr schreiben. Wenn ihnen etwas am Herzen liegt, dann schreiben sie sich ihren Ärger, ihre Wut oder ihre Enttäuschung vom Leib. Für Hannover 96 ist es prinzipiell erst einmal eine gute Nachricht, dass der Verein nach wie vor Herzen bewegt, auch oder gerade in schlechten Zeiten wie diesen. Nur noch drei Punkte trennen die „Roten“ von einem Abstiegsplatz. Gefühlt hat die Mannschaft ihr letztes Auswärtsspiel im Gründungsjahr des Klubs gewonnen; nicht auszudenken, wenn heute gegen Leverkusen oder in den nächsten Wochen auch zu Hause die Punkte ausbleiben. 96 – das ist das Gefühl in der Region – schwebt das erste Mal seit Längerem wieder ernsthaft in Abstiegsgefahr.

Diese Angst vor der 2. Liga, vor Spielen gegen Augsburg, Koblenz und Ingolstadt, spiegelt sich in den Briefen, Mails und Faxen wieder. Die Bandbreite ist groß: Sie reicht von Kritik an Hecking („Das Problem bei Hannover 96 sitzt auf der Bank und heißt D. Hecking“), Kritik an der Taktik („Erst mal Beton anrühren mit gefühlten zehn Sechsern. Dumm nur, wenn der Beton löchrig wie Schweizer Käse ist“) bis zur Kritik an der Hecking-Kritik („Vielleicht findet sich ja jemand, der für die Sportberichterstatter die gleichen personellen Maßnahmen fordert wie Sie für Dieter Hecking!“). Wobei die Gegner des Trainers in dieser Woche in der Mehrheit waren – oder lieber schreiben. Es gibt aber auch eine Gemeinsamkeit. Aus fast allen Briefen oder Mails ist die Sorge herauszulesen, die sich die Fans um 96 machen; am schönsten kommt die Mischung aus Verbundenheit und Ratlosigkeit in den wenigen Zeilen eines Dauerkartenbesitzers von der Westtribüne rüber. Er schreibt: „So weit ist es schon gekommen. In meinem Mietshaus in Laatzen verkauft jemand den Einstellplatz mit der Nummer 96.“ Im Mittelpunkt in dieser für ihn und den Verein unruhigen Woche stand Dieter Hecking. Er sagt das offiziell nicht explizit so, aber er lässt schon durchblicken, dass er sich als Opfer einer Medienkampagne sieht. Man kann das sogar nachvollziehen, wenn einer jeden Tag in der Zeitung nachlesen darf, was er angeblich wieder falsch gemacht hat, oder plötzlich gefragt wird, „ob ich herzkrank bin“. Nur weil er auf Bildern zuletzt halt den Ergebnissen entsprechend aussah. Umgekehrt hat natürlich kein Trainer der Welt etwas dagegen, wenn nach Siegen von seinem „glücklichen Händchen“ oder der „klugen Taktik“ die Rede ist.

In einer angespannten, problembeladenen Situation wie momentan bei Hannover 96 ist es für alle schwer, die Nuancen zu sehen oder Verständnis für die andere Seite zu entwickeln. Was soll man denn Freundliches schreiben über den Trainer einer Elf, die fast regelmäßig drei Gegentore kassiert und sich viel zu oft ängstlich an der Mittellinie verschanzt? Eine Mannschaft, die er maßgeblich zusammengestellt hat mit Spielern, die er haben wollte und von denen fast keiner die Erwartungen erfüllt hat. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite kann Hecking anführen, dass er die Mannschaft in seiner ersten Saison aus dem Jammertal geführt hat und in der zweiten Saison auf Platz 8, was für einen Klub wie 96 tatsächlich eine beachtliche Leistung ist. Er leitet daraus ein Vertrauen ab, das er nun gerne in der Krise in Anspruch nehmen würde, es aus seiner Sicht von vielen nun aber nicht bekommt. Aber auch das ist nicht die ganze Wahrheit, denn tatsächlich hat keiner etwas gegen den Menschen Hecking, auch wenn ihn viele für „immer so griesgrämig“ halten. Das war zu spüren, als 96 zuletzt gegen Stuttgart schnell mit 0:2 zurücklag, aber es kaum „Hecking raus“-Rufe gab.

Die Fans nehmen dem 44-Jährigen ab, dass ihm etwas am Verein und an der Region liegt. Er lebt hier, und er lebt für 96. Es ist der Fußball, der sie stört, und natürlich der ausbleibende Erfolg. Niemand ist gerne ein Auswärtsdepp! Und kein Fan nimmt Niederlagen auf Dauer hin, nur weil der Trainer sich mit 96 hundertprozentig identifiziert. Es ist ein Knäuel aus Problemen, Meinungen und Gefühlen, das sich schwer entwirren lässt. Hannover 96 befindet sich in einer Art Schockstarre, und die meisten hoffen, dass sich endlich etwas bewegt, in die eine Richtung oder die andere. Das kann eine 0:3-Klatsche gegen Leverkusen sein, die den Schluss erlaubt: Es geht nicht mehr. Es kann auch ein umkämpfter 2:1-Sieg sein, der zeigt, dass Hecking die Korrektur schaffen kann; eine Leistung, die ein Stück Hoffnung zurückgibt. Hecking weiß, dass er nicht mehr viele Niederlagen hat. Er weiß aber auch: Wer gewinnt, hat recht.

 

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