NIEMALSALLEIN

Noch einmal innehalten, noch einmal Stille: Mit einer Schweigeminute für den verstorbenen 96-Torwart Robert Enke beginnen alle Partien dieses Bundesliga-Spieltages.

 

Auch in der Arena "Auf Schalke", wo die 96er auf eigenen Wunsch die Schonfrist ihres Trauerns beenden. Die "Königsblauen" haben eine Spielverlegung angeboten, aber die „Roten“ wollen mit aller Macht "zurück zur Normalität", wie 96-Spieler Hanno Balitsch sagt – Fußball als Trost.

In Gelsenkirchen machen die sogenannten Gastgeber diesem Wort wenig Ehre. Sie veranstalten im Gegenteil ein heftigeres Remmidemmi als anderswo, um den sogenannten Gästen den Aufenthalt so unangenehm wie möglich zu gestalten. Wenigstens für gewöhnlich. Aber jetzt ist das alles anders. Sie haben das traditionelle Musikprogramm reduziert und nur die Vereinshymne sowie das "Steigerlied" ("Glück auf, der Steiger kommt") übrig gelassen. Und ganz entgegen den sonstigen Gepflogenheiten der Knappen-Fans werden die Gäste auch nicht ausgepfiffen, als sie den Rasen zum Aufwärmen betreten.

Und dann schließlich diese Minute der Stille. Enkes Teamkollegen und die Spieler von Schalke 04 stehen sich am Mittelkreis gegenüber. Die Arme liegen auf den Schultern des Nebenmannes. Der Blick geht geradeaus ins Leere oder zu Boden gerichtet, während das Publikum schweigend Bilder von Enke auf dem Videowürfel unter dem Dach verfolgt. "Gut, dass wir unter dem Videowürfel gestanden haben", sagt 96-Verteidiger Christian Schulz. Soll heißen: Gut, dass die Spieler nicht sehen können, wie über ihnen Enke steht, weil sie befürchten, nach dem Anblick nicht nur ein Spiel, sondern vollends die Fassung zu verlieren.

Dann der Anpfiff in Gelsenkirchen. Er markiert nicht die Rückkehr zur Normalität, höchstens den Beginn des Weges dorthin. Aber immerhin ist er das Zeichen zum Ende der Stille und die – wenn auch zunächst verhaltene – Rückkehr der Fußball-Geräuschkulisse.

Das Spiel an sich kommt dem "wie immer" wohl schon am nächsten. Gut 60 Minuten hält Hannover 96 gegen die Schalker nicht nur mit. Wie deren Trainer Felix Magath meint, bestimmen die "Roten" sogar das Spiel in dieser Phase. Zwar gibt es viele vermeidbare Fehler bei beiden Teams. Vor allem die Torhüter machen die Sache indes sehenswert. Florian Fromlowitz hüben und Manuel Neuer drüben zeigen erstklassige Paraden und Reflexe.

Zu den Besonderheiten dieses Spieles gehört es, dass Neuer später seinen Torwartkollegen in den höchsten Tönen lobt: "Er ist in einer schwierigen Situation, aber mental stark. Er wird bei 96 seinen Mann stehen." Normalität hingegen ist, dass auch der stärkste Schlussmann Treffer kassiert, wenn seine Mannschaft bei der Abwehrarbeit nicht in jedem Moment aufmerksam ist. In der 69. Minute gibt es so einen Moment: Konstantin Rausch vernachlässigt nach einer Ecke Rafinhas die Bewachung von Jefferson Farfan, und der erzielt ohne Mühe mit Köpfchen das 1:0. "Wir haben Fehler gemacht", findet Hanno Balitsch nicht nur mit Blick auf diese Situation, "und darüber müssen wir sprechen. Auch da müssen wir zurück zur Normalität." Über den zweiten Gegentreffer indes wird dabei nicht viel zu sagen sein. Wenn sich 96 gegen eine Niederlage stemmt, ist das Team für Konter wie den vor dem 2:0 anfällig: Neuer schlägt den Ball über 60, vielleicht 70 Meter präzise in den Lauf von Lukas Schmitz, dessen harten Schuss kann Fromlowitz noch parieren, doch der erst 90 Sekunden zuvor eingewechselte Jan Moravek staubt ohne Mühe ab.

Niederlagen in Gelsenkirchen sind nicht die Ausnahme, sondern auch Rückkehr eines Stückes von Normalität. Nicht normal hingegen ist das Nachspiel: Mit den mitgereisten 96-Fans spendet das ganze Publikum Applaus, als die 96er vom Platz in den Spielertunnel und die Katakomben unter der Tribüne verschwinden. Allein Arnold Bruggink bleibt noch auf dem Rasen, um dem Fernsehen ein Interview zu geben, das wohl so weit weg von Normalität ist, wie keines zuvor in seiner Laufbahn: Der neue Kapitän weint. "Es war sehr schwierig" sagt der Niederländer, stockt und schluckt und presst schließlich ein "...'tschuldigung!" hervor. Und dann noch mal: "Es war sehr schwierig."

Nur zehn Meter entfernt von der Mixed Zone, wo Bruggink Rede und Antwort steht, befindet sich der Schalker Arena eine Kapelle. Sie steht an Spieltagen zwar nicht den Fans, aber immerhin allen Journalisten und beiden Teams offen. Dort steht das Foto eines beinahe keck lächelnden Robert Enke. Daneben eine Kerze, eine Bibel und ein Blatt für Kondolenzeinträge. Es bleibt leer.

Wieder so ein kleiner Schritt zurück zur Normalität: Die Zeit der Beileidsbekundungen ist vorbei, nicht aber die des traurigen Erinnerns. Diese Wehmut ist von jetzt an ein Teil der Normalität.

 

NEWSCENTER
RSS Feed
Fanartikel
Business
Arena
Datenschutz
Kontakt
Medien
Sitemap
Tickets
Navigation
Schließen