NIEMALSALLEIN

"Wir sind wie eine Familie"

Es gibt diese außergewöhnlichen Geschichten, die man sich eigentlich so nicht ausdenken kann. Die, von denen man sagt, dass sie nur der Fußball schreibt. Dies ist so eine Geschichte. Sie handelt von zwei kleinen Jungs, die im Stockholmer Stadtteil Bromma zusammen gekickt und jeden Tag ihrer Jugend gemeinsam verbracht haben. Nun, 15 Jahre später, treffen sie sich wieder. In einem anderen Land. Als Profifußballer. Und sie sind noch immer beste Freunde. Ihre Namen: Miiko Albornoz und John Guidetti.

/ Profis

 

"Unser Klub ist bekannt für seine gute Nachwuchsarbeit"
Die Geschichte beginnt im Jahr 2004. In Bromma, einem Stadtteil Stockholms, begegnen sich zwei fußballbegeisterte Jungs zum ersten Mal: der damals 14-jährige Miiko Albornoz und der zwei Jahre jüngere John Guidetti. Beide gehören zu den talentiertesten Kickern ihrer Jahrgänge in der schwedischen Hauptstadt. Sie spielen bei IF Brommapojkarna, einem Klub, der zwar im Herrenbereich kaum auf nennenswerte Erfolge zurückblicken kann, im Nachwuchs jedoch lange Zeit eine – vielleicht die – Topadresse Schwedens ist. "Unser Klub in Schweden ist in ganz Europa bekannt für seine gute Nachwuchsarbeit. Das war auch damals schon so", erklärt Guidetti. "Der Klub ist bekannt dafür, junge Spieler hochzubringen."

Brommapojkarna hat in der Tat einige Nationalspieler hervorgebracht. Neben Guidetti und Albornoz durchliefen unter anderem auch Albin Ekdal, der einst für Juventus Turin und den Hamburger SV die Schuhe schnürte, oder Werder Bremens Linksverteidiger Ludwig Augustinsson die viel gerühmte Jugendakademie. Auch Schwedens 19-jährige Nachwuchshoffnung Dejan Kulusevski, dessen Dienste Juventus Turin sich unlängst 35 Millionen Euro kosten ließ, lernte das Kicken in Bromma.

 

"Miikos Jahrgang war unglaublich"
"Die verschiedenen Jahrgänge im Klub sind natürlich auch immer unterschiedlich stark. Aber Miikos Jahrgang der Jungs, die 1990 geboren wurden, war unglaublich", erinnert sich John. "Mein Vater hat immer gesagt: 'Schau dir die an! Das ist das, wo du hinwillst – das willst du erreichen.' Ich bin dann nach meinem Training immer noch dageblieben, um ihre Einheiten anzugucken." Und Papa Guidetti geht noch einen Schritt weiter, fragt wieder und wieder beim Verein an, ob sein Sprössling nicht mit Albornoz & Co. trainieren darf. "Er hat versucht, mich da reinzudrücken." Mit Erfolg. "Damit fing alles an."

Guidetti ist 14, als er beginnt, mit dem 1990er-Jahrgang zu trainieren und Spiele zu absolvieren. Er fügt sich direkt gut ins Team ein. "In Schweden waren wir damals nicht zu schlagen – egal gegen welchen Gegner", weiß er noch genau. Kontrahenten auf Augenhöhe finden die Jungs aus Bromma nur in älteren Jahrgängen. "John hat also in der Zeit gegen vier Jahre ältere Jungs gespielt", erklärt Miiko. "Das war der Jahrgang meines Bruders, die 1988 Geborenen."

"Wir haben wirklich alles zusammen gemacht"
Albornoz und Guidetti haben von Tag eins an einen guten Draht zueinander. "In der Zeit sind wir wirklich, wirklich gute Freunde geworden", stellt John fest. "Wir waren an jedem einzelnen Tag eigentlich die ganze Zeit zusammen." Sie fahren zusammen zum Verein, essen gemeinsam und absolvieren ihre Einheiten. "Wir haben immer viel gelacht, haben unsere Späße in der Kabine gemacht, sind manchmal noch stundenlang dageblieben."

Häufig bleiben die beiden noch viel länger auf dem Platz, schießen Elfmeter und Freistöße oder messen sich in kleinen Duellen. "Wir haben uns immer Wettkämpfe geliefert. Manchmal hat er gewonnen, manchmal ich", sagt Albornoz. "Wir sind totale Wettkampftypen. Immer gewesen. Manchmal haben wir dabei richtig gekämpft." Und warum? "Miiko hat immer geschummelt", Guidetti versucht vergeblich, sein Grinsen zu überspielen, während er spricht – Albornoz geht es nicht anders: "Der, der immer geschummelt hat, war John." Die Wahrheit liegt vermutlich – wie so oft – in der Mitte. "Ich weiß noch", erinnert sich nun Guidetti wieder, "einmal haben wir uns so in die Haare gekriegt, dass wir danach drei Stunden lang nicht miteinander gesprochen haben." Albornoz weiß sofort, wovon die Rede ist: „Ja, sein Vater kam und sagte: 'Hey, Jungs! Beruhigt Euch.'" Aber das war die Ausnahme: "Normalerweise war es so, dass wir auf dem Platz gefightet haben, und direkt danach waren wir wieder beste Freunde." Und zwar beste Freunde, wie sie im Buche stehen. "Wir haben wirklich alles zusammen gemacht", betont John. "Nach dem Training waren wir einfach immer gemeinsam unterwegs. Er hat bei mir übernachtet, ich bei ihm. Aber das waren eigentlich auch nie nur wir zwei, wir waren eine ganze Gruppe und alle sind bis heute beste Freunde."

"Wir haben John quasi gekidnappt"
Im Sommer 2007 trennen sich die Wege der beiden erstmals. Guidetti, inzwischen 15 Jahre alt, hat sich in den Fokus der Scouts von Manchester City gespielt, folgt ihrem Lockruf und wechselt auf die Insel. Nach knapp drei Jahren im Nachwuchs der "Citizens" soll er sich im Herrenbereich beweisen und kehrt im Frühjahr 2010 für einige Monate auf Leihbasis zu Brommapojkarna zurück. Dort hat auch Albornoz den Sprung zu den Profis geschafft, die zu dem Zeitpunkt in der Allsvenskan, Schwedens 1. Liga, spielen. "Dieses halbe Jahr hat so einen Spaß gemacht", sagt Albornoz mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Auch sportlich läuft es. Zu Beginn der Saison mischt das junge Team aus Bromma die Liga auf, ist zeitweise Sechster, punktgleich mit dem Fünften. Guidetti kommt in acht Einsätzen auf sieben Torbeteiligungen. Doch die gemeinsame Zeit ist kurz. Albornoz verletzt sich, Guidetti muss zurück nach Manchester. Brommapojkarna gewinnt ohne die beiden nur noch ein Spiel und muss absteigen.

Damit ist die gemeinsame Zeit erst einmal für viele Jahre vorüber. Jeder macht seinen eigenen Werdegang. Während Albornoz mit einer Zwischenstation in Malmö schließlich 2014 bei Hannover 96 anheuert, wird Guidetti ungewollt zum Wandervogel. Manchester City verleiht ihn wieder und wieder. 2015 folgt schließlich der Wechsel nach Spanien zu Celta Vigo, 2018 geht es weiter nach Alavés. Dennoch halten die beiden weiter Kontakt. "Wir haben immer wieder telefoniert", berichtet Miiko, "und sind über Social Media in Verbindung geblieben. Heutzutage ist das ja ganz einfach." Und John fügt an: "Miiko und ich wussten all die Jahre, dass wir immer Freunde sein würden." Nur mit Treffen ist es nie ganz einfach: "Er hat in Deutschland gespielt und ich anderswo. Die Urlaubszeiten sind ziemlich kurz, man hat nicht viel Zeit, einander zu sehen. Aber wenn wir einander sehen, dann ist es so, wie es immer war." Das letzte Treffen vor Guidettis Wechsel nach Hannover vor knapp zwei Wochen gibt es bei dessen Hochzeit im vergangenen Juni. Davor steigt im kleinen Kreis die Junggesellenparty. "Wir haben John quasi gekidnappt und zum Flughafen gebracht", grinst Miiko. Der Rest der Feier findet auf Ibiza statt – weitere Details bleiben die beiden ganz bewusst schuldig. "Ja, es stimmt schon", resümiert Miiko. "Wir sehen uns nicht häufig, aber wenn wir uns sehen, ist es immer gleich."

"Wir wissen, dass es hier in erster Linie um den Job geht"
Nun werden sie sich häufiger sehen. In der 96-Kabine sind sie auf einmal wieder jeden Tag zusammen. "Es ist perfekt", stellt Miiko fest. Angst davor, dass man zu eng aufeinander hocken könnte, gibt es nicht. "Ja, das ist total entspannt. Wir kennen einander so gut, jeder weiß immer, wie es dem anderen geht", erklärt John – und führt aus: "Wenn man mit Leuten abhängt, kann das manchmal ein bisschen steif werden. Wenn zum Beispiel eine Zeit lang keiner was sagt und man das Gefühl hat, man müsse die Stille füllen." Doch mit Miiko ist das anders: "Wir sind wie eine Familie. Wenn ich das Gefühl habe, dass es gerade nichts zu sagen gibt, sage ich auch nichts und alles ist gut. Wenn ich sauer auf ihn bin, sage ich ihm das, wir sprechen drüber und alles ist gut."

Beinahe zehn Jahre nach der Erstligazeit mit Brommapojkarna hat das Schicksal die beiden nun in Hannover also wieder zusammengeführt. "Wir waren einfach echt glücklich, uns wiederzusehen", stellt John fest, jedoch nicht, ohne direkt zu betonen: "Aber wir wissen schon, dass es hier in erster Linie um den Job geht, den wir zu tun haben." Das sieht auch Miiko so: "Der Fokus liegt auf dem Fußball. Aber daneben ist es eben ein schönes Plus, jetzt hier zusammen zu sein." Das Ziel ist klar: "Wir müssen arbeiten, um den Klub wieder nach oben zu führen. Genau dafür ist John hierhergekommen. Und ich bin mir sicher: Er kann und wird uns dabei helfen."

"Jetzt spielen wir zusammen"
Weil er davon so überzeugt ist, hat Albornoz für 96 auch kräftig die Werbetrommel gerührt, als sich der Wechsel anbahnte. Guidetti griff sofort zum Telefon, um seinen Kumpel anzurufen: "Ich habe sofort mit ihm gesprochen, als ich vom Interesse von 96 gehört habe. Natürlich hatte ich ein paar Fragen, und er wollte unbedingt, dass ich komme, weil er meinte, ich würde gut in die Truppe passen und könne dem Team etwas geben, was es braucht. Mit Mentalität und Toren." - "Ja", stimmt Miiko ein, "ich glaube, das mit John passt perfekt. Er ist ein besonderer Charakter und ein besonderer Spielertyp, der uns sehr helfen wird. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Kabine." Und der Torjäger, der in seinem ersten Testspiel-Einsatz beim VfL Wolfsburg vor Wochenfrist bereits stark im 96-Trikot aufspielte, ist überzeugt, den richtigen Schritt gegangen zu sein: "Ich glaube an dieses Projekt. Eigentlich ist Hannover 96 ein zu großer Klub, um in der unteren Hälfte der 2. Liga zu spielen."

Doch klar ist – und das wissen auch Albornoz und Guidetti –, dass die Roten dafür anders auftreten müssen als in weiten Teilen der Hinrunde. Der Neuzugang hat übrigens einige der 96-Partien gesehen, denn: "Viele meiner engen Freunde sind Fußballprofis, und ich weiß eigentlich immer, wann und gegen wen sie spielen. Wenn ich die Gelegenheit habe, schaue ich mir auch die Spiele der Jungs an." Zwei oder drei Spiele von 96 habe er in dieser Saison bereits verfolgt. "Häufig auf dem Smartphone, zum Beispiel, wenn ich auf dem Weg zu eigenen Spielen gewesen bin. Aber ich bin ehrlich: Wenn ich gesehen habe, dass Miiko nicht aufgestellt ist, habe ich auch nicht weitergeschaut." Beide lachen. Und beide wissen, das ist jetzt nicht mehr nötig. "Jetzt spielen wir zusammen."

Ja, jetzt geht sie in Hannover ins nächste Kapitel, diese außergewöhnliche Geschichte, die man sich eigentlich so nicht ausdenken kann. Weil sie eine ist, wie sie nur der Fußball schreibt.
hec

NEWSCENTER
RSS Feed
Fanartikel
Business
Arena
Datenschutz
Kontakt
Medien
Sitemap
Tickets
Navigation
Schließen