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30 Jahre "Colt" bei 96

Nach 30 Jahren stürzt sich 96-Legende Jörg Sievers in Schottland noch einmal in ein neues Fußball-Abenteuer. Ein Porträt des Mannes, der für die 96-Fans eine Legende ist und dessen bewegte und bewegende Karriere bei den Roten mit einem Bewerbungsschreiben begonnen hat. Erinnert Euch hier noch einmal gemeinsam mit uns zurück - und schaut Euch "Colts" beste Momente im Video an.

/ Profis

 

Bewerbung per Post
Es sind auch im Fußball oft die kleinen Dinge, die über einen Lebensweg entscheiden. Mit 23 Jahren verfasste Jörg Sievers, damals Oberligatorwart beim VfL Wolfsburg, eine schriftliche Bewerbung an Hannover 96. In der heutigen Zeit, in der viele junge Menschen noch nie einen Brief geschrieben haben, wäre so etwas unvorstellbar. Auch damals war es ein ungewöhnlicher Weg. Und was hätte alles passieren können: Irgendwo bei der Post hätte der Brief verschwinden können. Er hätte bei 96 ungeöffnet in einer Mappe landen können, und vielleicht hätte damals auch jemand in der Clausewitzstraße denken können: Was sollen wir denn mit einem Torwart, der sich bei uns bewirbt, das kann ja nichts Seriöses sein – also ab in den Papierkorb mit dem Brief. Aber das alles passierte nicht. Dieser junge Kerl, der beim SV Eddelstorf in einem Dorf mit weniger als 1000 Einwohnern im Landkreis Uelzen als Jugendlicher Fußball spielte, erhielt eine Einladung zum Probetraining und überzeugte seinen damaligen Trainer Slobodan Cendic. Nach sechs Spielen musste Cendic wieder gehen – Jörg Sievers blieb bis zum heutigen Dienstag.

Fast alles erlebt
Diese Anekdote muss am Beginn jeder Sievers-Geschichte stehen, schließlich hat mit ihr alles angefangen. Der heute 54-Jährige hat in den folgenden 30 Jahren bei Hannover 96 fast alles erlebt, was man in einem Fußballprofiverein erleben kann und etwas geschafft, was nur wenigen zu Lebzeiten gelingt: Er wurde zu einer Legende, was man vielleicht sogar höher einstufen kann als einen Weltmeisterschaftstitel. Dass einer wie Sievers mit einem Begriff wie Legende nie viel anfangen konnte, ist typisch für den Menschen Sievers, der immer weit davon entfernt war, sich oder seinen Job zu überhöhen.

Der magische Abend im Mai
Sievers war als Spieler Aufstiegsheld und Pokalheld. Von 1989 bis 2003 absolvierte "Colt", wie ihn alle genannt haben, für 96 insgesamt 450 Spiele (die Zahl variiert je nach Quelle etwas), die letzten 17 davon in der Bundesliga. Später als Torwarttrainer hat er bei den Roten mitgeholfen, dass Robert Enke Deutschlands Nummer 1 wurde und Ron-Robert Zieler im Juli 2014 in Rio den WM-Pokal in den Händen halten durfte. Natürlich denkt jeder 96-Fan bei Sievers zuerst an jenen magischen Mai-Abend 1992 im Berliner Olympiastadion. Und jeder hat das Bild vor Augen von Sievers im modisch gewöhnungsbedürftigen lila Torwarttrikot, wie er den goldenen DFB-Pokal in den Berliner Nachthimmel reckt. 120 Minuten hielt Sievers damals das Tor des Zweitligisten 96 gegen den großen Favoriten Borussia Mönchengladbach sauber – und parierte dann im Elfmeterschießen die Schüsse von Karlheinz Pflipsen und Holger Fach.

 

"Willste schießen?"
Zum Pokalhelden war Sievers bereits vorher im Halbfinale geworden gegen Titelverteidiger Werder Bremen. Erst verwandelte er im Elfmeterschießen selbst zum 5:4, dann hielt er gegen Bremens Marco Bode - Hannover 96 stand im Finale und Sievers erzählte einige Jahre später die wunderbare Geschichte, warum er plötzlich selbst als Torwart am Elfmeterpunkt stand. "Man kann sich heute gar nicht vorstellen, dass mitten im Elfmeterschießen der Trainer auf den Platz rennt", sagte Sievers. "Ich dachte: Dass ich einen halten muss, weiß ich selber. Michael Lorkowksi aber fragte: 'Willste schießen?'" Ob er wollte oder ihm nicht viel übrig blieb, wurde nie ganz geklärt. Aber Sievers nahm all seinen Mut zusammen und traf. Als er später einmal bei der Fußballschule in Heeßel von einem Siebenjährigen gefragt wurde, was das für ein Gefühl sei, als Torhüter selbst einen Elfmeter zu schießen, antwortete er: "Da wird so ein Tor auf einmal ganz schön klein."

Der junge Jörg war Bayern-Fan
Sievers war nie einer, der in den Vordergrund gedrängt ist, ein ruhiger, bodenständiger Typ mit Humor, der sich zum Beispiel wegen seines berühmten Patzers im Regionalliga-Derby gegen Arminia Hannover, der zur 3:4-Niederlage führte, noch Jahre später selbst auf die Schippe nehmen konnte. Sievers hat lieber ein Wort weniger als zu viel erzählt. Und er hat schon mal auf einen Urlaubstag verzichtet, um Jungen und Mädchen ein paar Tricks beim Torwartspiel zu zeigen. Bei solchen Gelegenheiten gewann er viele Sympathien und sorgte für staunende Gesichter, wenn er auf die Frage "Lieblingsverein außer 96?" mit "Bayern München" antwortete. Wie alle Jungen seines Jahrgangs hatte Sievers' Leidenschaft für den Fußball in einer Zeit begonnen, in der die Bayern und Borussia Mönchengladbach die Bundesliga dominierten. "In dem Dorf, aus dem ich komme, gab es einen, den ich nicht mochte", erzählte Sievers. "Der war Gladbach-Fan. Deshalb war ich für Bayern."

Torjäger in Bredenbeck
Was viele nicht wissen: Aus dem Torwart Sievers ist im hohen Fußballalter noch ein erfolgreicher Torjäger geworden – in der 1. Kreisklasse als offensiver Feldspieler im 7er-Team der Ü40 der SG Bredenbeck. Wenn er später mal ein Buch schreiben würde, bekäme der Seniorenfußball sicherlich ein kleines Kapitel, denn auch dort hat Sievers schon einiges erlebt: Vom Gegenspieler, der – wenn er die 96-Legende erkennt – nach dem Abpfiff um ein Autogramm bittet, bis zum Verteidiger, der besonderen Ehrgeiz entwickelt, um einen Torerfolg des prominenten Bredenbeckers zu verhindern.

Wiedersehen macht Freude
Die SG Bredenbeck wird demnächst vermutlich auf seinen Gastspieler von Heart of Midlothian aus Schottland verzichten müssen. Und die 96-Fans? Sie werden Sievers nicht vergessen und die Spiele in der Scottish Premiership etwas aufmerksamer verfolgen als bisher. Und aus der Welt ist Sievers ja auch nicht. Ryanair bedient die Fluglinie Edinburgh-Hamburg direkt, von dort ist es ein Klacks bis zu einem Besuch in Hannover.

Wir sehen uns, Colt!
hr

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