NIEMALSALLEIN

Bis hierher, bis viertel vor zehn an diesem Morgen, sind Regeln und Ton dieser beispiellosen Zusammenkunft unklar.

 

Wie verhält man sich, wenn im Mittelkreis eines Fußballstadions ein Sarg steht? Wie trauert man um seinen Ehemann, Sohn, guten Freund, wenn Millionen dabei zusehen? Und wie nimmt man von einer Stadiontribüne aus Anteil, ohne dass das öffentliche Abschiednehmen von Robert Enke für seine Familie und Freunde zur Tortur wird? Dann kommt Enkes Witwe Teresa ins Stadion und beantwortet ihren Teil der Fragen.

Gestützt von einer Freundin betritt Teresa Enke den Rasen. Langsam geht sie zum Sarg ihres Mannes, hält davor inne und weint. Die vieltausend Trauergäste auf den Rängen erheben sich. Und applaudieren. Es ist ihnen ein Bedürfnis, und es ist das Beste, was sie tun können.

Die Szene ist kurz, mancher verpasst sie, weil er dort, wo sonst bei 96-Spielen Bier und Bratwurst verkauft werden, um Kaffee und Zuckerkuchen ansteht. Und doch setzt sie ein Zeichen, wie man an diesem Vormittag miteinander umgehen will. Teresa Enke zeigt, dass sie sich nicht verstecken möchte, genauso wenig, wie sie es seit dem Tod ihres Mannes getan hat. Und die Menschen auf den Tribünen signalisieren ihr geistesgegenwärtig ihre Hochachtung und ihren Respekt, höflich und dezent.

Eine gute Stunde später betritt die Witwe den Stadioninnenraum ein zweites Mal, dieses Mal ist die Trauergemeinde an ihrer Seite. Die Stühle für Familie und Freunde sind in der Coachingzone aufgebaut, eine gestrichelte Linie begrenzt sie, wie sie es sonst mit der Auslaufzone der Bundesligatrainer tut. Teresa Enke nimmt zwischen zwei engen Freunden der Familie Platz. Auf der einen Seite Jörg Neblung, der Berater ihres Mannes, auf der anderen der Fußballprofi und Weggefährte Marco Villa. Villa und Robert Enke kannten sich aus Zeiten, in denen beide hoffnungsvolle Talente bei Borussia Mönchengladbach waren. Heute spielt der 31-jährige Villa beim italienischen Viertligisten L'Aquila Calcio. Trotz der Entfernung hielten er und die Enkes stets engen Kontakt, häufig kam der frühere Mitspieler auch zu Besuch nach Hannover.

Es dauert nicht lange, bis klar wird, dass der Applaus im Stadion nicht nur Respekt für Rückgrat und Tapferkeit ausdrückt, sondern vor allem Dank an die Witwe. Für ihre offenen Worte über das Schicksal ihres Mannes nämlich, ausgesprochen nur Stunden nach dessen Tod. Für das also, wie es DFB-Präsident Theo Zwanziger sagt, "was Sie glaubten, für Ihren Mann, und ich denke auch für uns, tun zu können". Als Zwanziger das sagt, ist Teresa Enke in Tränen aufgelöst. Die Gäste spenden aufmunternden Applaus.

Mit ihrer Pressekonferenz am Mittwoch habe sie "für uns alle erst erkennbar gemacht, was wir nicht wussten, aber auch uns geholfen zu verstehen", sagt Ministerpräsident Christian Wulff. Und verspricht ihr im Namen der Niedersachsen: "Sie können sich auf uns alle in den nächsten Jahrzehnten verlassen." Die Menge quittiert jeden dieser Sätze stehend mit Applaus, weniger für den Redner als für die Adressatin. Nichts von all dem wirkt an diesem besonderen Tag fehl am Platz, nichts überzogen.

Als die Mannschaftskameraden von Hannover 96 den Sarg ihres Mannes an ihr vorübertragen, weint Teresa Enke an der Brust von Marco Villa. Zehntausende sehen, wie ihr die Beine schwach werden, wie ihre Freunde sie stützen, wie sie das Stadion verlässt. Und erheben sich zum Applaus.

 

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